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SEIKON (PL) : Tägliches Sketchen und Malen ungegenständlicher Formen

, by Katia Hermann

Aufgewachsen in einer Graffiti sprühenden Nachbarschaft in Polen

SEIKON ist ein polnischer Künstler, geboren 1987, und lebt seit 2019 in Griechenland. Er wuchs in einem städtischen Viertel in Gdynia auf, einer Hafenstadt an der polnischen Ostseeküste, in der Graffiti Writing vor allem nach 1999 sehr präsent war. Schon als Kind zeichnete und malte SEIKON. Seine Mutter war Lehrerin, sein Vater und Großvater schnitzten Holz und förderten die Kreativität des Jungen. Sein Freund Jacyndol zeigte ihm 1998 eine Skizze von Buchstaben seines Cousins, SEIKONs erster Kontakt mit Style Writing im Alter von 12 Jahren, bevor er auf der Straße Tags, Throw ups und Pieces bemerkte. Er erinnert sich heute, dass es circa 1999 einen allgemeinen Graffiti-Boom in seiner Gegend gab, es schien das neue Hobby der Teenager in seiner Nachbarschaft zu sein. Er begann, selbst Buchstaben zu skizzieren und im Freien zu sprühen. Seine ersten Namen waren SC, STORME, LIXE und später im College für kurze Zeit AZTE. Seine ersten Crews, in denen er aktiv war, waren VC, WBS (Weak Big System) und später andere, die immer noch aktiv sind, wie PW, ADR, SYF Graffiti. SEIKON erinnert sich gut an Crews seiner Heimatstadt, wie z.B. die FS-Crew und einige sehr talentierte Writer wie z.B. GRAS, der damals kalligrafische Buchstaben malte und auf ihn faszinierten. SEIKON lebte damals neben einer wichtigen Zuglinie, einer Hall of fame in einem verlassenen Krankenhaus und einem Graffiti-Shop und hatte somit die perfekte Umgebung für seine Arbeit auf der Straße. Durch das Skateboard-Magazin „Slizg“ lernte er die Graffiti-Terminologie kennen und kaufte sich damals ebenfalls das Magazin „Brain damage“. Rückblickend haben ihn damals der 3D-Stil und die Arbeiten von LOOMIT nachhaltig beeindruckt. Nach 2003 malte er jahrelang SEIK, vor allem Buchstaben im Wild Style und einige Characters. Ab 2006 entwickelte er einen farbenfrohen, ungegenständlichen, originellen organischen Bubble-Comic-Style, bevor er zu geometrischen Motiven überging. Während seines Kunststudiums an der Akademie der Schönen Künste in Danzig in Polen, wo er 2012 seinen Master absolvierte, begann er circa 2011 seinen heutigen Namen SEIKON zu verwenden.



Kunststudium und Praxis im Freien

An der Academy of Fine Arts in Danzig lernte der polnische Künstler viele verschiedene Techniken und Ausdrucksformen kennen, wie z.B. Siebdruck, Multimedia und Grafikdesign. Das Kunststudium war ein Katalysator für neue Entwicklungen in seinem geheimen Graffiti Writing, da er sich von neuen Entdeckungen für den künstlerischen Ausdruck inspirieren ließ und bereit war, seinen eigenen Stil auf Wänden zu erneuern. Andere Inspirationen kamen aus seiner eigenen Stadt, dem Urbanen, der Architektur, von den modernen Gebäuden der 1920er Jahre, erzählt er heute. Seine Wandarbeiten begannen geometrisch abstrakt zu werden, und es war für ihn ganz natürlich, mit einfachen geometrischen Formen zu arbeiten. Ab 2011 begann er mit der Realisierung von Wandmalereien, für die er vor allem mit geometrischen Formen und Linien arbeitete, eine grafische Arbeit, für die er öfters auch Tape einsetzte. Manchmal waren die Arbeiten größer und komplexer, mit vielen sich wiederholenden geometrischen Motiven. In kleineren Arbeiten reduzierte er die Anzahl der Formen wie Rechtecke, Dreiecke, Halbkreise und Linien, um minimalistischer und somit auch klarer in seiner Bildsprache zu werden. In einem Panoramarechteck angelegt oder ohne definierten Hintergrund sind seine Kompositionen klar, ausgewogen, elegant und auf Essentielles reduziert sowie perfekt auf die gewählte Wand und Architektur in ihrer Umgebung eingesetzt. Seine Kompositionen, die farblich hauptsächlich in Schwarz, Weiß und ein oder zwei Farben gehalten sind, erinnern u.a. an die moderne Malerei der russischen Konstruktivsten. Seit einigen Jahren sind einige seiner Kompositionen voller, die ungegenständlichen Formen weniger eckig, mehr organisch, fast vegetal, und seine Farbpalette hat sich deutlich erweitert, indem er mehr kräftige und helle Farben einbringt.



SEIKONs ständige Praxis des Graffiti Writing hat seine künstlerische Entwicklung beeinflusst und tut es weiterhin. Für ihn geht es beim Schaffen auch darum, es im täglichen Leben zu praktizieren. Seit 24 Jahren zeichnet er jeden Tag Skizzen, manchmal noch Buchstaben, aber nun sind die meisten seiner Skizzen nicht-gegenständliche Formen, die manchmal aber auch figurativ werden können. Es ist ein sehr freier Weg, um neue Formen zu finden, ohne ernsthafte Absichten, sagt er, und auf dem Papier kann er loslassen und auch nur zum Spaß zeichnen. Das Sketchen ist eine der Grundlagen seiner Arbeit und die wichtigste Übung, um neue Formen zu finden, die er später in seine Kompositionen an der Wand teilweise integriert. Aber er kopiert nie eine ganze Skizze, denn seine Wandbilder entstehen immer Freestyle, außer es handelt sich um Auftragsarbeiten.



Durch die Beobachtung seiner Umgebung und das Fotografieren der Natur, von zerstörter Architektur und Oberflächentexturen, erhält SEIKON neue Inspirationen für seine Wandbilder, die er in der polnischen Sprache immer noch „Piece“ nennt. Der Künstler verwendet hauptsächlich Wandfarbe, Wasserfarben, weil diese weniger ungesund und ökologischer sind und arbeitet mit Rollen und Pinseln. Er verwendet nur dann Sprühdosen, wenn die Oberfläche der Wand wegen ihrer Textur zunächst mit Sprühfarbe bedeckt werden muss, um versiegelt zu werden. Mit teleskopischen Stangen und manchmal mit Tapeband für scharfe Kanten, arbeitet er heute hauptsächlich mit Rollen. Der Künstler nimmt sein Skizzenbuch immer mit nach draußen, um sich bei Bedarf während seines Freestyle-Prozesses, der von seiner Tagesstimmung geleitet wird, von gezeichneten Formen inspirieren zu lassen. Er bleibt an der Wand immer offen für Experimente und arbeitet in situ, indem er die Umgebung, wie Texturen, Formen und Farben der verlassenen Orte oder der Straßen beobachtet, und Elemente/Linienverläufe der angrenzenden Architektur in seine Kompositionen manchmal aufgreift.

Für seine herausragenden geometrischen einfarbigen One-Liner auf Wänden oder verlassenen Gebäuden, verwendet SEIKON allerdings immer noch Sprühfarbe, und eine schwarze Sprühdose hat er ohnehin immer dabei, sagt er. Er arbeitet regelmäßig auch mit anderen Künstlern zusammen, die mit ihm im Freien malen. Denn der gemeinsame Akt des Malens und der Austausch sei nach wie vor inspirierend, lehrreich und fördere den Fortschritt, betont er.



Studiopraxis

SEIKON hört jeden Tag Musik, wie Jazz, Elektro, Weltmusik und mehr, und lässt sich auch in seinem Atelier von der Musik inspirieren. Da er dort besser organisiert ist und es als ein sauberes Labor mit gutem Licht beschreibt, benutzt er dort kleinere Materialien, kleine Pinsel und Rollen mit Acryl auf Leinwand, Papier oder Holz. Manchmal macht er ein Foto von einem in Arbeit befindlichen Bild und probiert Farben auf dem Foto am Computer aus, um schneller arbeiten zu können und gute Entscheidungen zu treffen. Die Atelierpraxis ist für ihn auch ein Experimentierfeld, das Arbeiten mit Licht und das Ausprobieren neuer Techniken. Für Auftragswandmalereien verwendet er ebenfalls Computersoftware für den Entwurf für seine Kunden, wobei er immer Raum für Improvisationen lässt und des Öfteren Elemente an der Wand am Ende auch ändert. Aber, wie er sagt, seine Haupttätigkeit neben der Arbeit im Atelier und Aufträgen bleibt das freie Malen auf Wände. Und nach Tagen in seinem Atelier, wo er manchmal das Gefühl hat, festzustecken oder müde zu sein, erfrischt das Malen an einer Wand im Freien seinen Geist und gibt ihm neue Kraft für die Arbeit im Atelier. Bei beiden Praktiken sucht er nach dem Gleichgewicht neuer Kompositionen in seinem ungegenständlichen, sich organisch entwickelnden Stil. Und das Wichtigste für ihn ist vor allem jeden einzelnen Tag zu sketchen und zu malen

https://www.instagram.com/seikon87/


Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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