Skip to main content

CT in Italien: Minimal graffiti art in situ

, by Katia Hermann

Umgebung und Anfänge

CT wurde 1985 in Turin, Italien, geboren und wuchs in einer Kleinstadt außerhalb von Turin auf. Ende der 90er Jahre entdeckte er Graffiti Writing durch Schulfreunde, die damals anfingen zu taggen. In einem Skateboard-Laden in seinem Städtchen konnte er Magazine voller Fotos von Graffiti kaufen und begann, selbst Skizzen zu machen. Seine ersten Writernamen waren MAIS, CERST und später CT, das ausgesprochen wie „city“ klingt.

2003/2004 begann er mit seinem Freund KURZ an zu taggen und zu bomben, und als er seinen Führerschein erhielt, fingen sie an mobiler zu sein und in und um Turin entlang der Bahnlinien zu malen. Der Name ihrer Crew war AMN (a modo nostro). Zu dieser Zeit gab es in Turin noch einige andere Crews wie KNZ, TOT, OTS und DYO. Nach 2005 unternahm CT einige Reisen, besuchte andere europäische Städte und traf sich mit Style Writern in Barcelona und Madrid. Zurück in Turin begann er zusammen mit seinem Freund und Writer KURZ, Paste-Ups mit den Buchstaben CT im Stadtraum anzubringen. Daraus entwickelte sich sein geometrischer, grafischer Stil für seinen Namen mit nur zwei Buchstaben. Im selben Jahr begann er sein Kunststudium an der Albertina Academy of Fine Arts in Turin, wo er sich auf Grafik spezialisierte. Über drei Jahre lang lernte er alles über Drucktechniken, technisches Wissen, das er zunächst für seine Paste-ups und später auch für Farbtransparenzen in seinen Pieces anwandte.



Im Jahr 2006 begann er an verlassenen Orten zu malen: in alten Fabriken, ruinenhaften Gebäuden oder Brachen. Bis heute sucht und erkundet er für ihn interessante Orte für seine Arbeiten, macht Fotos, misst Wände aus, bevor er zurückkehrt, um ein Werk zu malen, das er immer im Voraus skizziert hat. Für sein präzises Vorgehen entwickelte er damals bestimmte Werkzeuge für den Aufbau seiner Buchstabenformen. Um eine sehr saubere Wirkung seiner perfekten Formen zu erzielen, begann er, Karton zu verwenden, den er in positive Formen von Dreiecken, Quadraten und Kreisen in verschiedenen Größen von etwa 20 cm bis 70 cm zuschnitt. Mit diesen Hilfsmitteln konnte er die Skizze des Pieces an der Wand erstellen, dann klebte er die Umrisse mit Tape ab, um die Formen mit Farbe sauber und glatt auszufüllen. CT beschreibt 2014: „Die Module sind das Viertel eines Kreises und das Quadrat, normalerweise kombiniert durch zwei oder drei Formen. „CT“ basiert auf zwei Viertelkreisen und sieben Quadraten. Jedes meiner Werke besteht aus der gleichen Anzahl von CT-Buchstaben: Das ist die starke Verbindung, die mit der Writing Kultur fortbesteht (…).“



Reisen, vernetzen, entwickeln

2006 reiste CT nach Mailand und traf die Berliner Künstler Akim und ZASD bei einem Workshop ihres „Jazzystylecorners“. Im selben Jahr besuchte er seine neuen Kollegen in Berlin und entdeckte die Arbeiten von Kripoe, CBS, Drama und anderen Berliner Writern. 2008 traf er ELTONO in Turin und entdeckte viele andere Künstler online, sowie die Werke der Franzosen HONET, STAK, L’ATLAS, TANC und FOE. FOE begann 1998 mit dem Bombing von Zügen im grafischen Logo-Stil, ein Stil, der CT laut ihm stark beeinflusste. Ein Jahr später malte er zum ersten Mal mit dem italienischen Writer 108, der hauptsächlich mit biomorphen Formen und schwarzer Farbe minimalistisch arbeitet. Bis heute schaffen sie mehrmals im Jahr Werke an verlassenen Orten, die sehr unterschiedlich sind, aber wunderbar nebeneinander wirken.



2007/2008 reiste CT in die Niederlande, wo er bereits die Arbeiten von DELTA und EROSIE kannte und die Kunst von ZEZD, Wood, ZIME und Graphic Surgery wahrnahm. Seine Reise nach Holland veränderte und bereicherte seine Sichtweise auf Graffiti Writing, da er sah, welche neuartigen Formen von Graffiti in der holländischen Umgebung geschaffen wurden. In den folgenden Jahren malte er mit Graphic Surgery, ZEDZ, EROSIE und ZIME sowie mit vielen anderen Graffitikünstlern wie VOSTOK, 0331C, Scheme, LOUTSIDER, XVLF, ELTONO, CKE, BLUER, SLOW, Cap crew und weiteren.



CT beschreibt seine Arbeit aus dieser Zeit folgendermaßen: „2008/2009 begann ich, eine Art isometrischen Effekt zu erzeugen, dann duplizierte ich Schichten und erzeugte Überlappungen. Meine minimalistische Arbeit wurde ziemlich komplex, vor allem wenn ich sechs bis sieben Farben verwendete. Für mich war es wichtig, eine Technik zu haben, mit der ich schneller arbeiten konnte. Auf diese Weise ging ich viel bedächtiger an die Wand heran, ich musste die Wand ausmessen, bevor ich mich ans Malen machte, um ein Foto machen zu können. Diese Phase des Anfertigens meiner Werkzeuge war für mich interessant, denn es war eine Zeit, in der das Graffiti Writing schon ziemlich in Mode war (…)“. In dieser Zeit entwickelte der italienische Künstler auch Farbeffekte wie für Grafiken mit der Sprühdose, indem er in den überlappenden Teilen der geometrischen Buchstabenformen Transparenzen in verschiedenen Farben erzeugte. Seine Arbeiten waren damals noch mit lesbaren Buchstaben C und T konstruiert. Im Jahr 2008 fand auch seine erste Ausstellung in Turin in der Galerie Cripta747 statt.

Später, in den Jahren 2010/2011, hatte CT gesundheitliche Probleme und sah sich gezwungen, eine Pause einzulegen. In dieser Zeit interessierte er sich für moderne und zeitgenössische Kunst, hatte Zeit, über seine Arbeit nachzudenken und erhielt neue Inspirationen für seine eigene künstlerische Praxis.



Die Auflösung der Buchstaben in reine Formen

Nachdem er sich von seiner Krankheit erholt hatte, begann CT 2011/2012 wieder an zu malen. Diesmal ging er meist allein an verlassene Orte und musste etwas schneller arbeiten. Bei seinen neuen Konzepten legte er nun weniger Wert auf die Lesbarkeit der beiden Buchstaben, sondern reduzierte sie auf die Fähigkeit, nur durch ihre reine Form aufzufallen. Seine minimalistischen Arbeiten wurden jetzt zu abstrakten Formen, beeinflusst durch sein Wissen über Minimal Art, Colorfield und Hard Edge Malerei. Die Arbeiten von Künstlern wie Frank Stella, Donald Judd und den italienischen Künstlern wie Carla Accardi und Piero Dorazio von Forma 1 (eine 1947 gegründete Gruppe junger italienischer Künstler, die 1961 als Gruppe Continuità neu gegründet wurde) hatten einen großen Einfluss auf CTs Überlegungen zu seiner eigenen Graffiti Praxis. Elementare geometrische Formen, serielle Ordnung und industrielle Produktionsmethoden sind charakteristisch für Minimal Art. CT übernimmt einige dieser Aspekte für seine eigenen Arbeiten vor Ort, wobei er bewusst keine individuellen Pinselspuren auf der Farbfläche hinterlässt wie auch Hard-Edge-Künstler, sondern arbeitet schablonenartig, zweidimensional, mit geometrischen Formen und scharf abgegrenzten flächigen Farbaufträgen. Seine Farbpalette ist eingeschränkt, er verwendet für seine Fill-Ins vor allem im Winter Sprühlack und im Sommer Latexfarben, weil sie dann schnell trocknen können. Seit 2014 bezieht er seine Wandfarben ausschließlich von einem Entsorgungszentrum für Sondermüll, wobei er die gefundenen Farben verwendet, recycelt und sich auf diese Weise auch farblich einschränkt. Seine Lieblingsfarben, die er fand, sind ein dunkles Blau, das auf Fotos fast schwarz leuchtet, und ein Grau. Ab 2014 setzt er immer weniger kreisförmige Formen ein und arbeitet vermehrt mit Dreiecken und mit Symmetrien. Seit 2016 verwendet er nicht mehr seine vorgeschnittenen Kartonformen, sondern arbeitet mit Schlagschnur und Kreide, um Pieces in größeren Dimensionen zu schaffen.



Der italienische Künstler CT ist immer auf der Suche nach einem Ergebnis aus reinen, ausgewogenen Formen, die einfach nur „sind“. Indem er ein Graffiti auf einfache Grundstrukturen reduziert, um die Klarheit und Essenz der Form und des umgebenden Raums herauszuarbeiten, kalkuliert CT die Wirkung seiner Werke genau im Voraus, wie es minimalistisch arbeitende Künstler tun. Mit einfachen Formen strebt er nach einer Synthese von Größe, Form, Farbe und Platzierung. Seine Wandmalereien, die in seinen Augen immer noch, wenn auch abstrakt und nicht lesbar, Graffiti sind, mit Größenverhältnissen von circa zwei mal sechs Metern, werden zu puren Formen, die leere Räume besetzen. Invasiv, klar und massiv können seine Werke ihre volle Präsenz in situ entfalten. Die künstlerischen Interventionen von CT im Freien schaffen einen Raum, in dem die Malerei leben kann, und dies erinnert an Frank Stella: „Das Ziel der Kunst ist es doch, Raum zu schaffen – Raum, der nicht durch Dekoration oder Illustration beeinträchtigt wird, Raum, in dem die Themen der Malerei leben können.“ Die abschließende Fotografie des Werkes in situ, die es in dem umgebenden Raum zeigt, fügt ihm die kontextuellen Proportionen hinzu, zeigt die Wirkung des Werkes im Umfeld mit einer gewissen Poesie. Wandmalereien und Graffiti Pieces werden durch Fotografie online oder in Printmedien veröffentlicht und gezeigt, sie leben quasi durch das fotografische Abbild, weshalb das Medium der Fotografie für Graffiti-Kunst und künstlerischen Arbeiten im Freien so wichtig ist. Und CT setzt es gekonnt für seine eigene Kunst ein.



Atelierarbeiten und der Kunstmarkt

Neben seinen Arbeiten im Außenraum schafft CT Kunstwerke in seinem Atelier speziell für Ausstellungen. Für jede seiner Ausstellungen bringt er etwas von Außen nach Innen, wie z. B. in Brachen gefundene Materialien zum Bemalen, Materialien zum Formen oder auch Fotografien, und schafft so eine Verbindung zwischen seinen Arbeiten im Außen- und Innenraum. CT nimmt seit 2007 an zahlreichen Festivals und Gruppenausstellungen teil und ist einer der ersten europäischen Minimal-Graffiti-Künstler der Post-Graffiti-Ära.

In Bezug auf die Kunstszene und den Kunstmarkt äußerte sich CT 2014 in einem Interview: „Einige Aspekte halte ich für falsch, weil man am Ende eine Generation von Werken hat, die völlig leer sind, nur reine Ästhetik, vielleicht auf einem höheren Niveau als in der Vergangenheit, weil eine Person in sechs Monaten oder weniger, die ein gutes Auge, gute Kommunikationsfähigkeiten und einen guten Geschmack hat, einer der Künstler werden kann, die auf vielen Festivals und Galerien teilnehmen. Das sind Leute, die selber keinen Hintergrund im Style Writing, Graffiti oder Street Art haben, aber trotzdem oft mit Leuten ausstellen, die einen solchen Hintergrund haben. Ich finde das ein bisschen falsch, und es wirkt so, als ob wir über verschiedene Dinge reden würden. Ich denke, es ist wichtig, dass wir nicht alle Grafikdesigner, die gerade ihren Abschluss gemacht haben, mit denen, die gerade von der Akademie kommen, oder mit denen, die nur Graffiti auf der Straße machen, in einen großen Topf werfen. Wir werfen sie alle in diesen Kessel und machen daraus Pseudo-Ausstellungen mit einer Pseudo-Geometrie/Pseudo-Comic-Ästhetik und bezeichnen sie dann als Künstler oder Avantgarde. Das ergibt keinen Sinn! Und wenn mir jemand sagt, dass dies die heutige Realität ist, dann sage ich, dass wir mehr Grenzen setzen und den Dingen Namen geben sollten, sonst verlieren wir die Identität dieser Kultur und es wird eine Generation von Blog-Künstlern geben, die sich sicher verkaufen werden, weil es dem Markt an diesen Dingen nicht mangelt. Aber es fehlt das bisschen Poesie, das entsteht, wenn man ein bestimmtes Umfeld und bestimmte Situationen erlebt hat.“

Und dieses kleine bisschen Poesie sucht und schafft CT weiterhin in seinen Arbeiten in situ, auch wenn er weniger draußen malt als in den Jahren zuvor. Nicht weil er keine Lust mehr hat, sondern weil viele alte Fabriken oder verlassene Orte in seiner Gegend verschwunden sind. Dennoch spürt er mindestens einmal pro Woche Orte zum Malen auf und schafft neue Pieces. In seiner formalen Forschung kommt der Künstler zu dem Schluss, dass der Buchstabe C und das T nun gleich geworden sind, denn sein Bedürfnis, die Komfortzone des Lettering zu verlassen, treibt ihn dazu, Formen und Gebilde immer wieder neu zu überdenken, Unnötiges zu vermeiden, zu entschlacken und Oberflächen zu schaffen, die nur wenig Informationen seiner (früheren) Buchstaben enthalten, aber dennoch die kraftvolle visuelle Essenz und Eleganz dieser aufweisen.



instagram.com/maceca.ct

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

19 − 12 =