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JULIA BENZ: Malerei reflektieren

, by Katja Glaser

„Die fertige Leinwand […] ist das gewonnene Match. Aber es bedeutet nicht, dass man aufhört. Ein Basketballspieler hört ja auch nicht nach einem gewonnenen Spiel auf, sondern es geht um die Liga, oder?“

– Julia Benz

Es einfach mal passieren lassen

„Ganz vieles kann man gar nicht planen. Es wäre so schade, wenn man alles zerplant, anstatt es einfach mal passieren zu lassen und zu gucken ‚Oh, was ist da eigentlich‘? Nicht alles kontrollieren zu müssen während des Malens, gibt mir den Freiraum, auf das, was gerade entsteht, zu reagieren“, so Julia Benz. Schaut man sich ihre Arbeiten an, wird schnell klar, dass sie diesem Credo des ‚Einfach-mal-passieren-Lassens‘ treu bleibt. Ausgebildet an der Kunstakademie in Düsseldorf sowie der Universität der Künste in Berlin, waren ihre Arbeiten anfangs noch teils figurativ, während bunte Farbflächen – in einem Wechselspiel aus Figuration und Abstraktion – den Hintergrund bespielten. Heute jedoch arbeitet die Künstlerin abstrakt. Auf figurative Malerei verzichtet sie seit Ende 2017 komplett. Stattdessen haben sich die Farben zum eigenständigen Akteur emanzipiert – wie sie selbst auch. „Als ich in Düsseldorf angefangen habe, Malerei zu studieren, war alles um mich herum figurativ. Ein Muss, dachte ich. Dabei lag meine Stärke immer schon in der Abstraktion. Es hat Jahre gedauert, da wieder rauszukommen. Doch andererseits möchte ich diese Zeit auch nicht missen. Es war mir immer sehr wichtig, zu wissen, ‚alles malen zu können‘, um dann selbst entscheiden zu können, was ich malen möchte“, so die Künstlerin.



Der Kampf zwischen Formen, Farben und Geschwindigkeiten

Dabei sind Farben das, was ihre Arbeiten ausmachen: jung, bunt, dynamisch, mutig und unverfroren. Doch es geht nicht um Farben alleine, vielmehr stehen die Farben in einem permanenten Austausch- und Spannungsverhältnis mit den bildinhärenten Formen. „Das eine würde ohne das andere nicht genug sein oder nicht gleichstark. Für mich ist es gerade der Clash und der Kampf zwischen Formen und Farben, zwischen den Kontrasten und der unterschiedliche Radius in den Bewegungen und Geschwindigkeiten, was ich sehr interessant finde“, so die Künstlerin. Somit nimmt also auch der Faktor Zeit einen wesentlichen Stellenwert in ihren Arbeiten ein, und dies auf mehreren Ebenen. Während die gestischen Formen und Pinselstriche sehr schnell von der Hand gehen, dauert die klare gerade Form hingegen – „eigentlich das Langweiligste im Bild“ – am längsten. Und diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten, das Langsame, das Schnelle, das Geplante und das Gestisch-Spontane oder auch die Fehler, die einmal passieren können, dieses Zusammenspiel ist es, was die Malerei für Julia Benz ausmacht – „also das, was für mich in den Arbeiten lebendig ist oder auch nervend oder Tiefe erzeugt.“ Die Künstlerin expliziert: „In der Malerei geht es ja, will man beispielsweise eine Schneelandschaft malen, nicht nur darum, eine weiße Leinwand zu malen. Sondern es geht auch darum, alles zu malen, was unter dem Schnee liegt, was im Verborgenen ist. Schließlich ist das der Träger des Schnees, da liegt er drauf, das gibt ihm die Struktur.“ Und sie führt fort: „Ich kann etwas sagen, aber die Frage ist ja, wie sage ich es? Was ist dahinter? Und das, finde ich, ist eigentlich das Interessante.“



Der Streit mit der Leinwand ist essentiell

Somit ist also der Arbeitsprozess im Bild permanent anwesend. Er ist elementarer Teil der Arbeit – manchmal tritt er offensichtlich vor Augen, manchmal kann man ihn nur erahnen. Dabei handelt sich es immer um einen Aushandlungsprozess zwischen Intuition und bewusster Steuerung, Chaos und Ordnung, Aktion und Reaktion. „Anfangs, wenn ich vor der weißen Leinwand stehe, spiele ich herum, habe Spaß, schütte mit Farbe und mache alles Mögliche. Unvoreingenommen. Spielerisch. Frei. Vielleicht habe ich ein Farbkonzept, aber ich arbeite intuitiv“, so die Künstlerin. Ab einem gewissen Zeitpunkt jedoch kommt der Kopf mit ins Spiel. Und die Planung. Die Lenkung. Sowie die Entscheidung. „Meistens stehe ich dann vor einem riesigen Farbchaos und gucke ‚Ok, wo kommen wir beide hin?‘ Dies ist der Moment der Entscheidung. Vielleicht sagt die Leinwand mir schon, in welche Richtung es geht. Aber nicht immer. Manchmal ist der Weg einfach, manchmal sehr kompliziert. Aber dieser Prozess ist für mich immer das Allerwichtigste: der Streit mit der Leinwand.“ Dabei legt der Begriff „Streit“ schon nahe, dass es sich nicht immer um eine angenehme Angelegenheit handelt. Nicht immer angenehm, aber notwendig. „Manchmal stehe ich im Atelier und denke ‚Arg, es ist so schwer. Ich mach das jetzt schon ein paar Jahre, aber es ist verdammt nochmal nie einfach, ein Bild zu malen‘.“ Doch diese Herausforderung kann im Umkehrschluss auch als Motor gesehen werden. Als Motor und Ansporn, sich der Herausforderung zu stellen und sie letztendlich auch zu überwinden. „Die fertige Leinwand ist die Erlösung. Also das ist das gewonnene Match. Aber es bedeutet nicht, dass man aufhört. Ein Basketballspieler hört ja auch nicht nach einem gewonnenen Spiel auf, sondern es geht um die Liga, oder?“, lacht die Künstlerin. Ehrgeizige Worte einer ehrgeizigen, aber dennoch bescheidenen Künstlerin, die die Malerei lebt. Mutig. Und neugierig zugleich. Hat Julia Benz einmal eine Entscheidung getroffen, merkt sie im Umkehrschluss jedoch recht schnell, wenn ein Bild fertig ist. „Also irgendwann ist quasi alles im Kern gesagt und dann geht es nur noch um die Frage: ‚Wie weit mag ich es unterstreichen oder inwiefern ist es eigentlich genug?‘ Und oft ist es so, dass wenn ich überlege, ich könnte da nochmal was machen oder da – es aber am Kern nichts ändern würde – dann kann ich aufhören. Dann ist es fertig, dann ist alles gesagt.“


Julia Benz | In Progress


Die Malerei spüren

Dennoch ist es so, dass in ihren Arbeiten, abgesehen vom Farbthema, nicht per se ein bestimmter Inhalt oder eine bestimmte Aussage angelegt ist – „auch wenn wir Menschen es gerne haben, wenn uns immer Dinge vorgegeben werden. Aber das ist überhaupt nicht meine Intention“, entgegnet die Künstlerin. Vielmehr lässt Julia Benz dem Rezipienten bewusst Raum für eigene Gedanken, Gefühle und Assoziationen. Und sie fügt hinzu: „Für mich persönlich ist es so, dass – ich kann das halt fühlen, was ich sehe. Ich reagiere körperlich darauf, was ich male. Und wenn das nur ganz banale Sachen sind wie ‚das ist so schön, es macht mich glücklich oder es stört‘. Aber letztendlich löst sich für mich alles wieder in Harmonie oder in Ordnung auf. Also das Chaos, was ich mir schaffe, räume ich beim Malen ja wieder auf.“ Und spätestens in diesem Kontext kommt die Musik mit ins Spiel. Denn Musik spielt für Julia Benz eine zentrale Rolle. Sie ist Motor, Katalysator von Gefühlen und Stimmungsmacher zugleich. So ist ein Studiotag ohne Musik für die Künstlerin nicht denkbar, lenkt diese den Arbeitsprozess aktiv mit und hilft ihr dabei, sich vollends in der Malerei zu verlieren. Ihre Playlist, die den ganzen Tag über läuft, trägt dabei den humorvollen Namen „Benzis Beste“ und mag mitunter eine Erklärung dafür sein, warum ihre Arbeiten oftmals nach Liedtiteln benannt sind.


Wenn das Müssen wegfällt

Die besten Momente sind dann diejenigen, wo die Hände, die Augen und der Geist auf Autopilot schalten und quasi wie von alleine funktionieren. Um dort hinzukommen, können jedoch einige Stunden vergehen. „Also wenn ich weiß, ich habe um vier Uhr nachmittags etwas vor, dann brauche ich manchmal gar nicht ins Atelier zu gehen, weil ich weiß, ich habe nicht diese Luft nach hinten. Manchmal dauert es Stunden. Die guten Momente fangen meistens so ab 16h, 17h oder 18h abends an. Also ich mache davor zwar schon auch Sachen, aber der richtig gute Kram passiert dann nach sechs Stunden, wenn das Müssen wegfällt. Wenn man vielleicht schon ein bisschen zu müde ist, um sich zu viele Gedanken zu machen“, so Julia Benz. Der erstrebenswerte Zustand für sie ist also der, wo sie nicht mehr streng an Konzepten und Ideen festhält, sondern sich von ihrer Intuition leiten lässt. Und auch Fehler, Unwegsamkeiten oder den Zufall bewusst in Kauf nimmt.



Eine Frage der Größe

Zu Julia Benz‘ gängigen Arbeitsmaterialien zählen Acrylfarben, farbige Tusche und Acryl-Spraydose, die jeweiligen Trägermedien variieren jedoch stark. So erstreckt sich ihr künstlerischen Spektrum von Papierarbeiten über Leinwände, 3-dimensionale Installationen bis hin zu großflächigen Wandgemälden, sogenannten Murals. Letztere hat sie im Rahmen verschiedener Programme und Kooperationen schon auf der ganzen Welt hinterlassen – zu nennen sind hier unter anderem das im Sudan realisierte „Yalla Khartoum“ oder das „Festival Concreto“ in Fortaleza, Brasilien; beide in Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut. Was sie an Murals reizt, ist vor allen Dingen eines: das Format. „Zunächst einmal bin ich Malerin – ob ich das jetzt auf einer Wand mache, auf einer Leinwand oder auf Papier, ist eigentlich egal. [Aber klar, ich friste damit in gewisser Weise auch] eine Art Hybrid-Dasein. Auf der einen Seite gelte ich in der Street Art- oder Urban Art-Szene als die Malerin, die Kunst studiert hat. Ich bin da Außenseiterin, habe aber auch mein Alleinstellungsmerkmal. Und in der klassischen Kunstszene bin ich Außenseiterin, weil ich Urban Art mache oder Street Art oder Wände male. Es ist Fluch und Segen zugleich, nirgends richtig dazuzugehören. Andererseits genieße ich es aber auch, dass das nicht richtig zuordenbar ist und ich mir damit quasi alles erlauben kann. Also ich kann alles bespielen.“ Interessant wird es für sie vor allen Dingen dann, wenn der ganze Körper beim Malen zum Einsatz kommt. Wenn nicht nur das Handgelenk oder der Unterarm gebraucht wird, um eine Linie zu ziehen, sondern der ganze Körper. „Ich liebe große Formate und gerade dieses Körperliche, wenn es dann wirklich zum Kraftakt wird! Das finde ich schon richtig gut. Am liebsten würde ich mich viel mehr in großem Format bewegen.“, bemerkt die Künstlerin.



Antonymdimension: Das Brechen von Raum und Dimensionen

Die Vorliebe für große Formate im Hinterkopf, mag es ein natürlicher Schritt und eine folgerichtige Weiterentwicklung sein, dass die Künstlerin seit mehreren Jahren mit einer weiteren Dimension experimentiert und sich dabei permanent neuen Herausforderungen stellt: Gemeint sind 3-dimensionale Installationen. „Also der Bruch der Malerei war schon früh ein Thema für mich, also Malerei anders wahrzunehmen, damit zu spielen. Also nicht nur, dass ein Bild einen einsaugen kann oder abstoßen, sondern Malerei fühlen.“ Die aktuelle Werkserie „Antonymdimension“ soll genau das tun: mit der Wahrnehmung spielen, Dimensionen brechen, (Sicht)Ebenen infrage stellen. „Beim mehrdimensionalen Komponieren fühle ich mich herausgefordert. Wenn es größer wird als ich bin und ich anfangs noch keine Ahnung habe wie ich es überhaupt mache, dann packt es mich. Also einfach ist irgendwie doof.“ Gleichzeitig geht es in der Werkserie darum, der Zweidimensionalität der Malerei und den damit einhergehenden normativen Bildebenen den Rücken zu kehren und zu schauen, wohin der Weg noch führen kann. Eine Ahnung davon bekommt man, besucht man das neue Designhotel „Urban Loft“ in Köln, für das sie eine ortsspezifische Fensterinstallation entworfen hat. Es handelt sich hierbei um fünf beidseitig bemalte, geometrische Plexiglasplatten, die den Betrachter auf eine Reise in die Welt der Farben mitnehmen und sowohl Innen- als auch Außenraum in ein farbenfrohes Licht hüllen. Unterstützt werden die Platten von geometrischen Formen aus bunter Dichroic-Folie, die an den Fensterscheiben angebracht sind. Je nach Lichtverhältnissen, Betrachterstandpunkt und Eigenbewegung der Plexiglasplatten variiert der Sinnes- und Werkeindruck. Reflektionen, Schattenwürfe, Spiegelungen, Betrachter, Passanten, Innen- und Außenraum – alles wird zum integralen Bestandteil des Werkes, ohne dass man es willentlich steuern kann. Und genau das macht den Reiz dieser Arbeit aus. „Antonymdimension bedeutet für mich quasi eine Vieldimension. Was ich daran so mega spannend finde, ist, dass man durch die Spiegelung innen und außen miteinander verbindet und sich Malerei mit dem vermischt, was draußen passiert. Wenn Leute vorbeigehen, werden sie Teil dieses Bildes“, so Julia Benz. Und dies mag eine logische Konsequenz vorheriger Überlegungen und Anstrengungen sein. So kann die Fensterinstallation doch in gewisser Weise als Bindeglied und künstlerische Klammer zwischen ihrer, im Außenraum stattfindenden Murals und den Indoor-Malereien gesehen werden. Dennoch geht sie mit ihrer Werkserie noch einen Schritt weiter, denn sie verlässt das viereckige Format – ein weiterer Schritt in Richtung künstlerischer Emanzipation. Interessant ist, dass sich ein Ausläufer dieser Befreiungsbewegung neuerdings auch in ihren Leinwandarbeiten wiederfindet. Durch die Praktik des sogenannten „Weiß-Malens“ nimmt sie der Leinwand ihre viereckige Form und bricht bestimmte Bereiche des Bildes punktuell weg. Löscht sie aus. „Wenn diese Arbeiten dann vor der weißen Wand hängen, vermischt sich das Weiß mit dem Weiß der Wand und dann zählt nur noch die Malerei.“



Man darf also gespannt sein, wohin und in welche Dimension sich die pulsierende Farbwelt von Julia Benz in den kommenden Jahren noch vortasten wird. Welches Medium sie bespielen und in welcher Formensprache sie uns adressieren wird. Freundlich, aber dennoch impulsiv und fordernd. Eines ist jedoch recht sicher: Mit ein paar gewonnenen Matches wird sich die Künstlerin nicht zufrieden geben – denn es geht ja schließlich um die Liga.


Julia Benz‘ Arbeiten sind derzeit im „Urban Loft Cologne“ (01.10.2020 – 31.01.2021) und in der „Fousion Gallery“ in Barcelona (01.10. – 20.11.2010) zu sehen. Das Ausstellungsprojekt „Sudan Moves“, an welchem sie ebenfalls beteiligt ist, läuft im November 2020 an.



juliabenz.de
instagram.com/benzpainting

Katja Glaser
Katja Glaser has a doctorate in media studies and works as a freelance author and copywriter in Cologne. She has already published numerous essays on street art and graffiti. Her monograph “Street Art and New Media. Actors – Practices – Aesthetics” was published by transcript in 2017.

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