Berliner Writer Gate – essentielle Reduzierung und Spannungsfelder
Das Korsett des Bildes sind und bleiben die Buchstaben
Der Graffiti Writer GATE ist einer der Berliner Style Writer, der seit den 90er Jahren mit verschiedenen Namen und in verschiedenen Schaffensphasen immer wieder neue Styles und Formensprachen entwickelt. GATE sucht immer wieder die formelle Erneuerung. Seine verschiedenen stilistischen Phasen dauern meist vier bis fünf Jahre an, mit Übergangsphasen zur Findung einer neuen Bildsprache.
Seit einigen Jahren kann man in seinen Styles und Wandmalereien die Abstrahierung und Auflösung der Linien der Buchstaben beobachten, die aber weiterhin für ihn der 1. Schritt, die Grundlage für eine Komposition, das Korsett eines Bildes ist und bleibt.
GATE geht immer mit einem vorher geschaffenen Entwurf an die Wand und improvisiert dann, aus dem Gefühl heraus, um sich von festen Ideen im Malprozess zu lösen. Mit dem Vorziehen der Grundlinien mit der Sprühdose oder mit weißer Kreide – die zarte, filigrane und nur angedeutete Linien zulässt – definiert er grob die Formen und Größe der Komposition. Nach dem Aufbringen des Grundkonstruktes bricht der Künstler dann aber doch meist im Malprozess mit dem initialen Entwurf und die Arbeit beginnt ein neues Eigenleben mit der Farbe, im Moment und direkt an der Wand in einem architektonischem Umfeld. GATE arbeitet gerne mit selbst auferlegten Restriktionen, um sich mit wenigen Elementen zu fordern und auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ob mit simplen geometrischen Formen und einer reduzierten Farbpalette, mit wenigen Mitteln versucht er eine ausgewogene aber spannungsreiche Komposition zu schaffen, das Wesentliche eines guten Pieces. Das Aufbrechen von Etwas, das schon da ist (hier das vorgezogene Buchstabengerüst) und damit an der Wand spielerisch zu improvisieren, wie z.B. Linien spontan weiterzudenken und angerissene Formen zu abstrahieren, ist der Schaffensprozess, den GATE letztendlich am meisten reizt und weiter antreibt.
In seinen bemerkenswerten malerischen Wandarbeiten dominieren meist einfache Formen, oft rund, wie der Anfangsbuchstabe, der Buchstabe G auch vorgibt. Offene Halbkreise, gewogene Linien und kleinere Kreise, kombiniert er mit eckigen Formen wie z.B. verzerrte Dreiecke, Spitzen und Pfeilen. Die Kombinationen bilden ausgewogene Formkontraste, die dennoch unter Spannung stehen. Der gefüllte Kreis, der Punkt, der meist im Buchstaben E gesetzt wird oder in einer Dreiecksform oder spitzen Kante, evoziert in manchen Arbeiten einen stilisierten Vogelkopf, der eine Andeutung auf einen ehemaligen Character von ihm ist, der früher in Pieces im E erschien.
Malerische Kompositionen
GATE’s Kompositionen der letzten 15 Jahre, mit einfachen naiven geometrischen farbigen Formen und der besonderen Farbwahl erinnern teils an die moderne Malerei des 20. Jahrhunderts: z.B. an Kandinsky bei abstrakteren Arbeiten mit offenen Formen, die sich zu Farbflächen auflösen mit einzelnen gezogenen schwebenden Linien. Oder auch an Werke von Paul Klee oder Miró, die einfache klare geometrische Formen, Linien und Formkontraste schaffen, in denen die Farben der Komposition sowohl kontrastieren, harmonieren oder/und Spannungen erzeugen.
GATE schätzt abstrakte Malerei. Er versucht seine Pieces in diese Richtung zu beeinflussen, aber begeistert sich nur bis zu einem gewissen Grade für die Abstraktion, da ihm in der puren Abstraktion die Motive fehlen. Und auch wenn abstrakte Bilder auf ihn oft emotionaler wirken als z.B. figurative Arbeiten, verflüchtigen sich diese Emotionen auch sehr schnell in seinen Augen.
In GATE’s Malerei geht es auch nicht darum ein perfektes Gleichgewicht in der Komposition zu schaffen, sondern im Gegenteil, um eine Spannung im Bild aufzubauen. Und es darf laut ihm auch weh tun. Der Gesamteindruck, die Spannung und Dynamik in seinen Pieces/Bildern, ergeben sich auch durch dezente Bereiche im Bild, durch Zwischenräume, in denen sich Farben und Formen „zusammenziehen“. Energien zu erzeugen ist eine der großen Herausforderungen jedes Pieces oder gemalten Bildes.
Auflösung klar definierter Formen
Seit 2015 ist GATE wichtige neue stilistische Schritte mit dem Writer SENOR in Athen eingegangen. Dank des regen intellektuellen und konzeptuellen Austausch mit ihm, entdeckte er neue Herangehensweisen. Seitdem verwendet GATE auch für große Wandbilder mehr die Farbrolle und malt die Buchstaben meist ganz ohne Outlines. Es geht nun mehr um den malerischen Ansatz, nicht mehr um den Style und den Hintergrund, sondern darum eine einzige Fläche/Ebene zu schaffen. Diese besteht aus verschiedenen Farbflächen, sodass Hintergrund und Fill-in zu einer Komposition auf einer Ebene verschmelzen. Die Buchstabenformen sind nicht mehr abgeschlossen, vielmehr angedeutet und offen, Farbflächen sind nicht mehr durch Linien definiert, sondern durch die puren Farbaufträge mit manch Übergängen oder Überlappungen der verschiedenen Farbflächen im Bild.
In letzter Zeit malte er öfter den Namen BERD, denn dieser beinhaltet mehr runde Buchstabenformen: das B, R und das D, mit denen er mehrere Kreisformen in verschiedenen Varianten einsetzen kann und ihm neue formelle Möglichkeiten öffnen. Feine Linien deuten Formen an, manche haben Pfeile, Formen und Flächen werden nicht ganz mit Farbe ausgefüllt, die nicht bemalten Flächen des Untergrundes sind Teil der Komposition. Diese zuletzt geschaffenen Wandarbeiten erscheinen wie eine Andeutung eines minimalistischen Pieces, skizzenhaft, lückenhaft, ein Spiel mit sichtbaren Formen und den Feldern dazwischen, der Hintergrund, die Wand als Rohmaterial, das Feld, dass als Form auf derselben Ebene sichtbar wird.
Eine weit verbreitete Tendenz im Style Writing ist die Auflösung der Buchstabenformen, das sich Loslösen von der typografischen Arbeit, von der vorgegebenen Form in einen freieren malerischen Prozess. Es ist eines der Merkmale der Post Graffiti-Malerei, in der sich das Style Writing durch bestimmte Graffiti Writer auch in eine nonfigurative Malerei verwandelt hat. Die Buchstaben sind nur noch minimal durch grobe oder stilisierte Formen angedeutet, verfremdet oder verschwinden ganz und gar, um unlesbare Form zu werden. Das Motiv, der Name, wird quasi fast oder ganz aufgegeben. GATE verfolgt einen ähnlichen Ansatz, ist dabei experimentierfreudig und malerisch, und bleibt seinen auserwählten Buchstaben – auch wenn sehr stilisiert – bisher noch treu.
Farben wie bei Dämmerung
GATE’s Farbpalette spielt neben der Linienführung eine große Rolle für seine Kompositionen. Er verwendet hauptsächlich und schon lange Dispersionsfarbe, die er mit der Rolle aufträgt. Es handelt sich nicht um klare Farben, vielmehr um abgemilderte Töne. Die absichtlich limitierten Farben sind blau, rot, grün, gelb schwarz und weiß. GATE mischt seine Farben selber an, um abgemilderte auch oft gräuliche Töne zu erhalten, die wie er sagt, Farben sind, die wie bei Dämmerung gedämpft und mat erscheinen. Farbreste werden wiederverwendet, die Sprühdose setzt er meist am Ende ein, um die letzten Farbpunkte mit bestimmten Farbtönen aufzutragen. Diese sind meist klare und leuchtende Farben. Seine grau abgemilderten Farben erzeugen eine ruhige angenehme Stimmung, die hellen grelleren Töne oder weiß heben sich leuchtend ab. Satte Farbakzente, scharz-weiß Kontraste contra abgemilderten Farben, eckige Formen als Kontrast zu den weicheren abgerundeten Formen erzeugen ein Spannungsfeld, das das Auge des Betrachters herausfordert und dennoch sanft unterhält.
Studioarbeiten „Stadtlandschaften“
GATES Interesse für Architektur und urbane Konstruktionen zeigt sich kaum in seinen Pieces, sind aber die Inspirationsquelle für seine Studioarbeiten auf Leinwand, Papier oder Molton Stoff. Diese Serie entstand zwischen 2005 und 2012 und nennt sich„Stadtlandschaften“. Das Konstruieren mit Linien und Flächen steht hier im Fokus, um bestimmte Orte in Berlin darzustellen, wo er einst auch an die Wände Pieces oder Rooftops malte, wie Anfang der 2000er Jahre auch noch mit seinem ersten Pseudonym GEL. Meist in vier bis fünf Farbtönen gehalten, mit schwarzen Flächen des verarbeiteten Molton Stoff spielt er hier mit Linien, Flächen und starken Kontrasten. Man erkennt Straßenecken oder Dachansichten, die er als konstruierte Flächen in zwei Dimensionen reduziert und dennoch in Perspektive setzt.
Der Bezug zum Ort spielt hier immer eine wichtige Rolle, denn es handelt sich um Stellen an Architekturen, die er sich als Writer damals angeeignet hatte und auch fotografierte. Viele entstanden im Prenzlauer Berg. GATE’s Stadtlandschaften sind nicht menschenleer, sondern meist stehen eine oder zwei Personen im Bild, vorne oder hinten, und oft stellt sich der Künstler hier stilisiert selber dar.
Initialzündung und Kollaborationen
Ob als GEL, GATE, oder BERD, was an diesen Namen auffällt, sind die runden Anfangsbuchstaben und das E, das in allen Namen vorhanden ist. Geb. 1974 in Ostberlin, begann GATE’s Interesse für das Style Writing, als er den Film „Beat Street“ sah und nach der Maueröffnung im Winter 1989 nach Westberlin fuhr und auf der U1 bemalte Züge erblickte. Das war für ihn die Initialzündung einer bis heute anhaltenden Leidenschaft. Später kaufte er regelmäßig das Graffiti-Magazin On the Run und begann die Hip Hop-Szene in Hellersdorf im „Lubminer Club“ zu frequentieren. Dieser Ort war damals einer der einzigen im Bezirk ohne Neo-Nazis. Punks, Skater, und Hip Hop-er trafen sich hier. Aus dieser durchmischten Szene entwickelte sich eine Gruppe, die sich mehr für Hip Hop interessierte, und aus der die Crew LofD hervorging, der GATE und auch ETIK beitraten. Später engagierte sich GATE auf der Insel der Jugend in Berlin -Treptow jahrelang für die „Swat Posse“, von 1993 bis 1999, wo er unzählige Konzerte mitorganisierte und betreute.
Der erste Name GEL entstand 1992/93, als er mit seinem Writer-Freund ETIK in Hamburg einen „end to end“ -Zug bemalte und sich schnell einen kurzen Namen ausdenken musste. Sie waren Teil der Crew Lords of Doom (LofD) und malten bis 1995/96 einige Pieces wie Rooftops. Später kam er auf einen anderen Namen, dessen Länge und Klang er griffig fand: GATE. Mit der Crew BFM (Back for More) realisierte er viele neue Arbeiten.
Es war vor allem durch den Künstler IDEE, dass GATE neue Impulse bekam und sie als Team neue Stile entwickelten und viel mit Rolle und Streiche von circa 1996/97 bis 2004 gemeinsam malten. Mit IDEE machte er in seinen Augen eine sehr große künstlerische Entwicklung, denn sie entwickelten gemeinsam nicht nur neue Styles, vielmehr auch Konzeptarbeiten, um Graffiti anders zu denken. Für sie galt die Stadt als offene Galerie, oder besser gesagt als „Offene Ateliers“ und sie hinterließen viele interessante Arbeiten mit neuen Techniken und Materialien wie auch Papierarbeiten. Die Konzeptwände mit IDEE, die sie oft an Baustellen produzierten, beschäftigten sich meistens mit neuartigen Schriftzügen, die sich vom klassischen Style Writing völlig entfernten. Die beiden Künstler hebten sich Anfang der 2000er Jahre in Berlin vom Style Writing stilistisch ab, mit innovativen Styles und Platzierungen waren sie Teil einer avantgardistisch arbeitenden Writer Szene damals in Berlin.
GATE bleibt weiterhin einer dieser Writer, der das Style Writing anders denken will und auf eine malerische Ebene weiterdenkt und praktiziert. In 25 Jahren malte er mit diversen Writern und Künstlern in mehreren Städten, seit 2015 regelmäßig in Athen mit SENOR, um gemeinsam Konzeptwände zu schaffen und in Berlin öfter mit KASE, wie in Lost Places im Umland. Immer wieder hat sich GATE über die vielen Jahre im Writing künstlerisch ausprobiert und neue Bildsprachen rundum Buchstaben entwickelt. Er ist auch heute weiterhin auf der Suche nach neuen Formensprachen mit einer malerischen Handschrift, um sich an der Wand immer wieder neu auszudrücken.
Gate: instagram.com/187geight8
Fotos: Gate & Emmett Edelstein
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