Pics! Or it didn’t happen!
Wir freuen uns, als Teil des „UrbanArtWeekend“ Programms, einen Beitrag zum diesjährigen Berliner Kunstfestival „48 Stunden Neukölln“ beisteuern zu können. Thema des Festivals ist „boom“ und aufgrund der aktuellen Corona-Krise „#systemrelevant“. Unser Videobeitrag geht der Frage nach, ob und inwiefern die fotografische Dokumentation für Street Art und Graffiti #systemrelevant ist.
Text – Katja Glaser
Fotografie – Bart Van Kersavond
Filmschnitt & FX – Steve Alexander – Rinzen
Stimme – Rike Scheffler
Musik – Nervousline
Vielen Dank an Urban Art Week, 48h Neukölln & Katia Hermann!
Foto-Index
00:04 – Swoon, Berlin, Sep 2015
00:06 – Swoon, Berlin, Jan 2007
00:09 – El Bocho & Alias, Berlin, Dec 2006?
00:11 – Just, Berlin, May 2007
00:14 – Kripoe, Berlin, Mar 2007
00:16 – Cream, Berlin, Jun 2007
00:19 – 1up & CBS, Berlin, May 2007
00:22 – Nomad, Berlin, Dec 2006?
00:24 – Nomad, Berlin, Dec 2006?
00:27 – Börek, Berlin, Jun 2007
00:29 – Auszug „Subway Art“, Martha Cooper & Henry Chalfant
01:04 – Martha Cooper Exhibition, Berlin, May 2016
01:08 – Feliz, Marrakech, Oct 2017
01:15 – Momo & Skla, Köln, Mar 2020
01:21 – Caro Pepe, Berlin, Mar 2014
01:28 – Artist Unknown, Bray-Dunes (FR), Dec 2019
01:35 – Cazl, Berlin, Nov 2016
01:46 – Kera, Berlin, Feb 2020
01:50 – Klaas Van Der Linden, Gent, Dec 2018
01:52 – „Berlin: Writing Graffiti“, Brussel, Dec 2019
01:55 – Raws, Berlin, Aug 2016
01:57 – Skenar, Berlin, Aug 2016
02:01 – Berlin, Apr 2015
02:04 – Plotbot Ken, Berlin, Nov 2015
02:07 – Ale Senso, Berlin, Oct 2015
02:10 – Blu, Berlin, Nov 2014
02:24 – Blu, Berlin, Aug 2007
02:33 – Blu, Berlin, Aug 2007
02:44 – Blu, Berlin, Dec 2008
03:11 – Blu, Berlin, Dec 2014
03:21 – Blu, Berlin, Jun 2015
03:29 – Blu, Berlin, Jun 2015
03:38 – Blu, Berlin, May 2016
03:46 – Dotmaster, MB6Streetart Marrakech, Feb 2016
03:51 – Fintan Magee & Karl Addison, Kunstlabor München, May 2019
03:57 – Bosso Fataka, Berlin, Apr 2013
04:06 – Bosso Fataka, Berlin, Mar 2014
04:15 – Bosso Fataka, Berlin, Jul 2015
04:24 – Bosso Fataka, Berlin, Oct 2015
04:32 – Stohead, „Parkhaus Neukölln“ Berlin, Apr 2019
04:35 – Tarek Benaoum, „Urban Art Biennale“ Völklingen, Jun 2017
04:38 – Isakov, Transurban Köln, Aug 2017
04:41 – Roa, Malmar Fabriek, Jun 2018
05:16 – Roa, Skelet Fabriek, Dec 2018
05:18 – User & Poes, Marrakech, Feb 2019
05:20 – Katre & User, Marrakech, Feb 2019
05:22 – Abdo Mchimich, Agafay Desert Marrakech, Feb 2019
05:36 – Bonom, Brussel, Feb 2017
05:47 – Artist Unknown, Shanghai, Jan 2012
05:59 – XOOOOX, Berlin, Dec 2006?
06:04 – Alias, Klosterfelde – Berlin, Oct 2012
06:07 – Berlin Kidz, Berlin, Aug 2017
06:11 – Nice, Köln, Jan 2019
06:15 – YG, Berlin, Jun 2016
06:19 – Alaniz, Berlin, Jun 2016
06:23 – MakArt, Toulouse, Jun 2019
06:27 – Akim, Berlin, April 2008
06:30 – Kripoe, Istanbul, May 2010
06:33 – 1up, Berlin, Aug 2006
06:36 – Ehso, Berlin, Jun 2007
06:39 – SGS, Berlin, Mar 2007
06:42 – KHC, Berlin, Jun 2007
06:45 – Spair, Berlin, Sep 2006
06:48 – Broa, Berlin, Sep 2006
06:50 – Sam Crew, Berlin, Jul 2007
06:54 – Dolk, Berlin, Jun 2007
06:56 – Emess, Berlin, Apr 2006
06:59 – Sega, Berlin, Sep 2019
07:02 – Kase, Vogelsang – Berlin, Jun 2016
07:05 – Yat, Artbase Festival Neustrelitz, Aug 2019
07:10 – Bird & Nefast & Smok, As (BEL), May 2018
07:16 – Kouka, Jardin Rouge Marrakech, Feb 2016
07:21 – Krito, Jardin Rouge Marrakech, Feb 2015
07:26 – Alias, Artbase Festival Neustrelitz, Sep 2019
07:31 – Plotbot Ken & Artist Unknow, Jan 2015
07:37 – El Bocho, Berlin, Dec 2019
07:42 – Kouka, Jardin Rouge Marrakech, Feb 2019
07:49 – Tick, Berlin, Oct 2019
08:00 – David Mesguich, Marrakech, Jun 2018
08:30 – Katre (360°), Urban Art Biennale Völklingen, Apr 2019
08:40 – Mambo (360°), Urban Art Biennale Völklingen, Apr 2019
08:49 – Tona, Artbase Festival Neustrelitz, Sep 2019
08:55 – Artist Unknown, Wanne-Eickel, May 2019
09:01 – L’Espiegle, Festival des arts de rue de Tameslohte, Mar 2019
09:07 – Loomit, OZM Hamburg, Jan 2018
09:13 – Darco FBI, OZM Hamburg, Jan 2018
09:20 – Guido Van Helten, Oostende, Apr 2017
09:26 – Alaniz, Teufelsberg Berlin, Sep 2017
Pics or it didn’t happen?
Die Fotografie stellt für die Urban Art ein zentrales Präsentations-, Dokumentations- und Archivierungsmedium dar. So ist sie sowohl für deren Verhandlung als auch für deren Erinnerung und Kunstgeschichtsschreibung #systemrelevant.
Während heutzutage Millionen an Street Art- und Graffiti-Fotos überall im Internet zirkulieren, kommt den frühen Fotos der 1960er-/70er- und 80er-Jahre kanonischer Status zu; ihre Urheber sind gefeierte Akteure und konstitutiver Teil der Street Art- und Graffitiwelt. Als eine der einschlägigsten Figuren gilt hier wohl Martha Cooper. Ihr Buch Subway Art, das sie 1984 zusammen mit dem Fotografen Henry Chalfant veröffentlichte, wurde zum Meilenstein der US-amerikanischen Writing-Dokumentation und sorgte maßgeblich für eine (mediale) Verbreitung von Graffiti – in Europa und weltweit.
Doch auch heute erweisen sich einzelne Urban Art-Fotografen als wichtige Dokumentaristen und Gatekeeper, die die Kunst nicht nur fotografisch festhalten und somit verdauern, sondern durch ihre Fotopraktiken auch neue ästhetische Potenziale freilegen – oder zumindest freilegen können. Auch wenn das Medium Buch noch lange nicht ausgedient hat, greift die Mehrheit jener Fotografen auf digitale Medien zurück; soziale Netzwerke, Webseiten und Blogs erfreuen sich großer Beliebtheit.
Ein Beispiel für einen solchen Blog ist urbanpresents.net. Dieser führt einzelne Künstlerportraits, dokumentiert Lost Places, berichtet über Ausstellungen und Festivals und präsentiert eine Vielzahl an Street Art- und Graffitifotos – einige der dort zu sehenden Arbeiten wurden über Jahre hinweg aufgesucht und erzählen somit ihre ganz eigene Geschichte.
Am anschaulichsten wird dies möglicherweise, schaut man sich einmal die Fotos der beiden Blu-Murals an, welche an der Cuvrybrache in Berlin-Kreuzberg und ursprünglich in Zusammenarbeit mit JR entstanden sind, zumindest das rechte davon. Dieses Mural zeigt zwei maskierte Figuren, die – so eine häufige Interpretation – auf die Versöhnung sowie die Demaskierung von Ost und West anspielen – symbolisiert durch die beiden Handzeichen, Eastcoast und Westcoast. Nur unweit entfernt verlief einst die Berliner Mauer.
Doch die Brache wurde im September 2014 geräumt. Aufgrund eines Brandes, aber auch, weil sie Teil des umstrittenen Investorenprojekts Mediaspree ist. Nur wenige Monate später, im Dezember 2014, konterte der Künstler und ließ sein Mural schwärzen – als kunstpolitisches Statement und als Antwort auf eine fehlgeschlagene Stadtentwicklungspolitik.
Und im Juni 2015 regte sich am selben Ort erneut Protest – dieses Mal von den Berlin Kidz und Alaniz, die das geschwärzte Mural, in einer waghalsigen Abseilaktion und mit Teleskopstange ausgerüstet, erneut kommentierten.
Um eine solche Entwicklung festzuhalten, ist die fotografische Dokumentation essentiell: Sie kann den Entstehungsprozess einzelner Arbeiten zeigen, aber auch deren Verfall. Und das, was zwischendrin passiert. Wenn einzelne Arbeiten beispielsweise kommentiert oder ergänzt werden, wie das auch der Fall bei Bosso Fatakas Strechtlimo war, welche im Frühling 2013 im Rahmen des Urban Art Clash installiert wurde. Bis diese, 2 Jahre später, bedingt durch Umwelteinflüsse, verwittert bzw. in sich zusammengefallen war.
Doch nicht nur stadtpolitische Entwicklungen und natürliche Verwitterungs-prozesse lassen sich durch fotografische Dokumentation festhalten, manchmal werden auch künstlerische Entwicklungen sichtbar – malerische Fertigkeiten, technische Skills, motivische Vorlieben und Entwicklungen. So zum Beispiel beim Belgischen Künstler ROA. Bevor dieser international bekannt wurde, war er an vielen verlassenen Orten unterwegs, um seinen Malstil zu verfeinern und mit Farbe und Umraum zu experimentieren. Sein Lieblingsort in Belgien war die Malmar-Fabrik in Gent, wo er fast 60 Werke hinterlassen hat.
Neben der Dokumentation abgelegener und für die breite Öffentlichkeit unzugänglicher Orte, wie hier zum Beispiel in Marrakesch, oder dem Einfangen außergewöhnlicher Perspektiven, kann die Fotografie auch dafür genutzt werden, gegen stadtpolitische Zensurmaßnahmen anzukämpfen, zumindest im übertragenen Sinn. Gerade bei polemischeren Arbeiten, wie denen von Bonom in Brüssel, liegt der Schritt zur Zensur und dem anschließenden Buffing recht nahe. Oder aber in Ländern, die nicht demokratisch organisiert sind und eingeschränkte künstlerische Freiheit genießen, wie diese Fotos aus Shanghai vermuten lassen.
Da die Fotografie in der Verhandlung von Street Art und Graffiti eine derart zentrale Rolle einnimmt, steigt im Umkehrschluss auch die Relevanz aktiver Fotografen. Diese treffen im Zuge ihrer Dokumentation stets Entscheidungen: Sie dokumentieren Graffiti und Street Art, aber sie (re-)produzieren sie auch. Hierbei ist nicht nur die Art und Weise der Dokumentation entscheidend, sondern auch die Motivwahl. Manche Arbeiten werden von Fotografen für dokumentationswürdig erklärt, andere wiederum nicht. Damit setzen sie, zum Teil unbewusst, qualitative Werturteile. Fotografen prägen das Bild der Straße, was sie zeigen und auswählen, scheint die relevante Kunst der Stadt zu sein. Von einem der zentralen Fotografen fotografiert zu werden, muss – aus Künstlersicht – somit immer auch als indirektes Qualitätsurteil gelesen werden.
Im Umkehrschluss liegt in der fotografischen Dokumentation jedoch auch Potenzial begründet, findet beim Fotografieren oftmals eine zusätzliche Sensibilisierung statt; zum einen für das Werk, zum anderen für seinen Ort. Künstler greifen hierbei gerne auf das Know-how und Equipment professioneller Fotografen zurück. Beliebt sind einerseits Fotos, die verschiedene formal ästhetische Kriterien berücksichtigen. Andererseits erfreuen sich Fotos, die Künstler beim Arbeiten zeigen, zunehmender Beliebtheit: tagsüber im eigenen Atelier, oder aber nachts, ‚on the run‘. Diesen Fotopraktiken kommt dennoch eine gewisse Exklusivität zu, beruhen sie doch auf einer gegenseitigen Vertrausensbasis. Oftmals überwinden diese Fotos den Status reiner Abbildhaftigkeit und erschaffen ‚neue Bilder‘. Denn sie zeigen nicht nur Kunst, sondern den Prozess des Kunst-Machens und – nicht weniger entscheidend – den Künstler selbst.
Dennoch gilt festzuhalten, dass sich nicht nur die Künstler weiterentwickeln, sondern auch die Fotografen. Einige von ihnen greifen mittlerweile auf die neusten technischen Hilfsmittel und Medien zurück, fertigen spektakuläre Videos sowie 360 Grad-, 3D- oder Drohnenaufnahmen an und erweitern somit das Spektrum des Dokumentier- und Archivierbaren.
Wie für Graffiti und Street Art symptomatisch, haben wir es somit also – sowohl was die Kunst an sich als auch ihre Dokumentation betrifft – mit einem dynamischen Feld zu tun, das sich – zumindest aus technisch-apparativer Sicht – stets weiterentwickelt und die neuen Medien zunutze macht. Dies ist nicht weiter verwunderlich, handelt es sich doch gerade bei Street Art um eine Kunstform, die durch die digitalen Medien erst groß geworden und ohne sie gar nicht zu denken wäre. Man darf also gespannt sein, was die kommenden Jahre noch alles bringen werden.
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