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Kenneth Letsoin (NL): Rein intuitiv geleitete abstrakte Malerei seit 35 Jahren

, by Katia Hermann

Hallo Kenneth, ich habe gehört, du lebst in Rotterdam, Niederlande? Bist du dort aufgewachsen? Und wie war deine Kindheit?
Ja, ich lebe derzeit in Rotterdam, schon seit 5 Jahren. Vorher habe ich in Nijmegen und Armhem gewohnt. Ich bin im Osten der Niederlande aufgewachsen, nahe der deutschen Grenze in einem kleinen Dorf namens Rijssen in der Nähe von Enschede. Meine Kindheit, was soll ich dazu sagen, gut und schlecht, alles andere als einfach.


Ich habe in einem Interview gehört, dass du als Kind viel gezeichnet hast. In welchem Alter und was hast du gezeichnet, und hast du da auch schon gemalt?
Als ich jung war, habe ich ständig gezeichnet, auch in der Schule. Ich mochte die Schule und das Lernen nicht. Damals habe ich für mich Vögel und Bäume gezeichnet, es war eine Flucht vor der Realität. Heute ist es immer noch so, wenn ich male.


Wann hast du dein erstes abstraktes Bild gemalt?
Damals war ich etwa 17-18 Jahre alt.


Mit Acrylfarben?
Ja, und auch mit Sprühlack.


Aus welchen Jahren stammen die Leinwände, von denen du mir die Bilder geschickt hast?
Aus 1991 bis 1995.



Hast Du zu dieser Zeit Comics gelesen? Gab es etwas, das dich als Kind inspiriert hat?
Ich habe nicht viele Comics gelesen, aber wenn, dann habe ich die Marvel-Comics wie Spiderman, Fantastic Four und The Hulk gelesen. Ich ging oft in die Bibliothek, um nach Kunstbüchern über Maler zu suchen. Ich entdeckte Cobra, Karel Appel, Willem de Kooning, Basquiat, Hundertwasser, Franz Kline, usw.


Ich musste an COBRA denken, vor allem an Karel Appel, als ich deine Bilder gesehen habe.
Was gefällt Dir an COBRA und insbesondere an der Arbeit von Karel Appel ?

Die leuchtenden Farben, die Energie, die Spontaneität, die Frische und manchmal auch die Dunkelheit.



War jemand in deiner Familie Künstler*in?
Nein, eigentlich nicht.


Wann und wie hast du Graffiti entdeckt und angefangen, selbst zu taggen oder im Freien zu malen?
Durch den Film The Warriors und später durch Wildstyle, sowie durch das Buch Subway art. Später habe ich in den 80er Jahren Tags und eine Menge Zeug in den Straßen von Amsterdam gesehen, ich war immer in Amsterdam und ein paar Mal in Paris, als ich jung war. Ich liebte es, auf der Straße zu sein, und das tue ich auch heute noch, es ist sehr inspirierend für mich.


Gab es zu dieser Zeit Graffiti-Writer, die dich inspiriert haben?
Futura 2000, Lokiss, Bando, Mode 2, Delta, Shoe, USA Crew und die CBS Crew, High Pengo Zar aus Amsterdam.


Hattest du Anschluss an die lokale Szene?
Ja, ich war Teil der lokalen Szene.


Mit welchen Namen hast du angefangen?
ASY, ASYER, ASYONE.



Welchen Stil hast du damals praktiziert? Wild Style?
Nein, einfache Buchstaben. Aber ich mochte damals vor allem den Tagging-Teil im Graffiti Writing, alles zu beschriften, beschmieren, zerstören und überall seinen Namen anzubringen.


Warst du Mitglied von Crews, wenn ja, welchen?
Grave Yard Posse.


Arbeitest du manchmal noch mit Buchstaben deines Namens?
Nein, überhaupt nicht.


Hast du nach der Schule studiert?
Ich wurde von vielen Schulen gefeuert, viele Male. Als ich 19 Jahre alt war, ging ich auf eine Kunstschule, aber ich hörte nach drei Monaten auf. Damals war ich zu wild.


Gibt es moderne oder zeitgenössische Maler, die du besonders magst und die dich inspirieren?
Zu viele… Herman Brood, Anselm Kiefer, Lucebert, Picasso, Franz Kline, Basquiat, Willem de Kooning und die, die ich schon genannt habe, Hundertwasser oder Karel Appel.


Wie oft malest du denn draußen im Freien?
Fast jede Woche – wenn ich einen Spot finde.



Gehst du alleine oder mit anderen malen?
Meistens gehe ich alleine, aber manchmal auch mit anderen Leuten.


Welche Techniken verwendest du?
Sprühlack und Acrylwandfarbe. Momentan verwende ich alles.


Wie wählst du die Wände und Objekte aus, die du umgestalten/bemalen willst? Es scheint, als würdest du dich von verschiedenen Arten von Oberflächen angezogen fühlen. Warum?
Ich mag es, an verlassenen Orten oder an verdreckten, zerstörten Wänden zu malen. Ich spiele gerne damit. Ich wähle Wände, an denen die meisten Leute nicht malen können oder wollen, weil die Oberfläche nicht sauber und glatt genug oder zu beschädigt ist.


Improvisierst du auf der Oberfläche? Oder hast du eine Idee im Kopf, bevor Du loslegst?
Keine Skizze, kein Plan. Ich fange einfach an und sehe, was im Prozess passiert.



Wie wählst du die Farbpaletten aus?
Ich nehme einfach das, was ich in dem Moment auf Lager habe.


Deine Arbeiten im Freien enthalten spontane Energie, Rhythmus und Dynamik. Malst du schnell?
Ja, die meiste Zeit male ich wirklich schnell und denke nicht zu viel nach. Ich fange einfach an und gehe mit dem Fluss und der Energie des Augenblicks. Ich mag die Freiheit und das intuitive Arbeiten.


Diese spontane, von Intuition geleitete Arbeit erinnert mich an die Arbeiten von COBRA- und Art Brut-Künstlern, die von Kinderzeichnungen inspiriert sind, weil sie in jungen Jahren nur mit ihrer Intuition abstrakt malen. Hast du jemals mit Kindern gearbeitet?
Ja, ich habe in den letzten zehn Jahren viele Workshops mit Kindern durchgeführt. Zum Beispiel mit dem Projekt Hospitality Club in den Niederlanden. Ich finde es toll, wie frei sich Kinder ausdrücken können, vor allem bevor sie in die Schule gehen und im System sind, wo sie oft diese totale Freiheit des Ausdrucks verlieren, die sie vorher hatten.


Was ist für dich das Wichtigste bei abstrakten Kompositionen?
Wenn die Dämonen in meinem Kopf damit einverstanden sind, ich mir nicht zu viele Fragen stelle, dann bin ich im Gleichgewicht, (wenn ich alleine male).


Was meinst du mit: Ich stelle mir nicht zu viele Fragen / wenn ich alleine male?
Ich meine, wenn ich nicht zu viele Fragen von den Dämonen im Kopf habe, dann ist das Malen für mich in Ordnung. Wenn nicht, dann geht der Prozess, der Kampf weiter, bis in meinem Kopf alles im Gleichgewicht ist. Manchmal gewinnt man, und manchmal verliert man.



Was ist für dich denn wichtiger, der Malprozess oder das fertige Werk?
Ich genieße beides.


Siehst du dich selbst als Abstrakten Expressionisten?
Hm, ich denke schon, wenn ich die Definition lese.


Siehst du deine abstrakten Wandmalereien noch als Graffiti pieces?
Nein, nicht wirklich. Heutzutage kann es alles sein, weil es so viele Formen von Graffiti gibt. Aber früher gab es das überhaupt nicht.


Schaffst du auch Studioarbeiten? Du hast ja in jungen Jahren auf Leinwand abstrakte Bilder gemalt, richtig? Mit welchen Techniken arbeitest du jetzt, und wie würdest du deine Atelierpraxis beschreiben?
Ich verwende alle Arten von Materialien zum Malen. Ich fange einfach an und schaue, was im Laufe des Malprozesses auf der Leinwand passiert.


Hast du abstrakt auf Leinwand gemalt, bevor du abstrakt an Wänden gemalt hast?
Ja, das war, bevor ich abstrakte Werke auf Wände malte.


Du hast auf der Urban Art Biennale 2024 in Völklinger Hütte die Fassade eines leeren Gebäudes auf die Fenster gemalt. Kannst du uns kurz etwas über das Konzept dieser Arbeit und den Prozess erzählen?
Es ist nicht gemalt, sondern mit farbigen Resten von Kleberolien hergestellt. Ich habe diese Arbeit zusammen mit Krista Burger geschaffen. Ich glaube, es waren etwa 100 Fenster an dem Gebäude, und wir haben diese in zwei aufgeteilt, jeweils 50/50, und dann eine kleine Komposition gemacht, wie und wo wir sie anbringen wollten. Dann haben wir einfach angefangen, sie wahllos auszuschneiden und damit zu spielen, wie bei einer großen Collage. Das war eine absolute Freiheit und gab uns selbst die Option, die Komposition im Laufe der Umsetzung zu verändern und mit ihr zu spielen. Es war eine Menge Arbeit, aber es hat uns wirklich Spaß gemacht, und wir sind sehr zufrieden damit, wie es am Ende aussieht – ein echter Blickfang für die Völklinger Innenstadt.



Kanntest du Krista Burger schon vor dem Projekt in Völklinger? Hast du schon einmal mit ihr zusammengearbeitet?
Wir haben uns vor 10 Jahren kennengelernt und haben mehrere Projekte zusammen gemacht. In Deutschland, Spanien, Mexiko und in den Niederlanden.


Ich habe deine Arbeit auf deinem Instagram-Account naamlooozz entdeckt. Was bedeutet der Name, etwa namenslos? Und warum hast du ihn gelöscht?
Ja, Naamlooozz bedeutet kein Name – no name-namenlos. Ich mochte ihn nicht mehr, ich benutze nun lieber meinen richtigen Namen.


Was hast du vor den aktuellen Arbeiten der letzten 10 Jahre gemalt, und wie würdest du deine eigene künstlerische Entwicklung beschreiben?
Ich hatte jahrelang mit einer Sucht zu kämpfen. Ich habe einige Bilder auf Leinwand gemalt, aber ich war nicht so aktiv wie in den letzten 10 Jahren. Vor 12 Jahren beschloss ich, die Dinge anders zu machen und änderte mein Leben, und es passierte eine Menge Scheiße. Jetzt habe ich eine andere Sucht: malen, malen, malen!


Hast du irgendwelche Pläne für die nahe Zukunft? Stehen irgendwelche Projekte an?
Im Moment mache ich eine dreimonatige Residency in Rotterdam bei P1projects. Im Mai 2025 nehme ich an einer Gruppenausstellung im Stedelijk Museum Schiedam teil. Für diese Museumsausstellung werde ich neue Arbeiten anfertigen.



Vielen Dank, Kenneth! Viel Glück für deine zukünftigen Projekte!

Interview von Katia Hermann, Berlin, Januar 2025


instagram.com/kennethletsoin

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Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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