Igor Ponosov (RUS): Künstler, Kurator, Forscher, Autor und Verleger mit Schwerpunkt auf Urban Art seit 20 Jahren
Hallo Igor, du hast seit 2005 viele Bücher veröffentlicht. In deinem Buch aus dem Jahr 2018 „Russian Urban Art: History and Conflicts“ schreibst du, dass du 1996, im Alter von 16 Jahren, begonnen hast, dich für die Hip-Hop-Kultur zu interessieren. Könntest du uns erzählen, wie du diese Kultur und das Graffiti Writing entdeckt hast und was genau dich damals angezogen hat?
Mein Interesse für die Hip-Hop-Kultur wurde durch die Musik geweckt, das war 1996, glaube ich. Als Teenager mochte ich verschiedene Musikstile wie Punk, Hardcore Metal und Breakbeat, aber vor allem russischen Rap, der zu dieser Zeit populär wurde. Ich bin in Nischnewartowsk geboren und aufgewachsen, in der Nähe von Sibirien und weit weg von Europa. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR in den 90er Jahren kam ein Teil der westlichen Kultur (Musik und Filme) auf DIY-Weise dort an: Zum Beispiel konnte man amerikanische Filme wie Terminator oder Robocop in kleinen Wagen/Containern auf einem Fernsehbildschirm sehen, wobei die Vorführungen von Genossenschaften organisiert wurden, was in Russland neu war. Einzelpersonen produzierten selbstgemachte Musikkassetten mit schwarz-weißem Cover im Fanzine-Stil. Es war eine Grassrootskultur und für junge Leute sehr interessant.
Hast du selber auch mit Graffiti Writing angefangen? (Wann, mit welchem Namen und wo?)
In meiner Kindheit verbrachte ich Zeit in einer kleinen Stadt im Norden. Im Jahr 1999 zog ich nach Kiew, wo meine Großeltern lebten. Dort verbrachte ich ein paar Jahre und ließ mich von der lokalen Graffiti-Szene inspirieren und versuchte mich an ersten Experimenten an der Wand, allerdings nicht sehr oft. Im Jahr 2003 zog ich nach Moskau und setzte das Graffiti Writing fort, aber ich war nicht so gut darin, ich hatte ein paar Namen wie Mos67, Dokas und Borro. Aber schon bald langweilten mich die Namen und der Style und ich interessiert mich für Street art. Von 2004 bis 2007 machte ich Pixelkunst, Paste ups und Aufkleber für und auf der Straße. Im Jahr 2008 hatte ich meine erste Performance („Red cube“), die meine Praxis völlig veränderte. Ich begann, sozial engagierte, konzeptionelle und performative Arbeiten zu machen und interdisziplinär zu arbeiten.
Hast du Kunst studiert?
Nein, ich bin eine Art Autodidakt, und eigentlich habe ich mich auf organische Weise durch Graffiti und Hip-Hop als Basis und durch selbstorganisierte Kultur gebildet. Aber mein Interesse gilt nicht nur der urbanen Kultur, ich bin ebenso beeindruckt von interdisziplinärer zeitgenössischer Kunst, Aktivismus, Performances und konzeptionellen Praktiken. Ich habe eine große Bibliothek, die sich mit verschiedenen Kunstpraktiken beschäftigt, und für mich ist das wichtiger als die Theorie, die man an der Universität lernt. Jedenfalls hatte ich nie Zeit für ein Studium, weil ich immer viele Ideen für neue Projekte und Bücher hatte. Ich wollte einfach keine Zeit damit verbringen, drinnen zu sitzen, um nur zuzuhören, sondern wollte selber aktiv sein.
Wann hast du mit deiner künstlerischen Praxis begonnen, die sowohl Interventionen im Freien als auch Studioarbeiten umfasst?
Meine erste richtige öffentliche Intervention fand 2008 statt. Ich habe eine Performance gemacht, was damals eine echte Herausforderung war, weil ich vorher nachts anonym auf der Straße gearbeitet hatte. 2011 organisierte ich mit meinem Freund Make die Partizaning-Bewegung. Wir haben gemeinsam viele sozial engagierte und partizipatorische Interventionen in Moskau, in einigen Institutionen in Russland, Europa, den USA und Brasilien durchgeführt. Dort haben wir an verschiedenen Aktivitäten teilgenommen, das war eine beeindruckende und sehr wichtige Zeit für mich. Ich habe nie über meine Studioarbeiten und Galerieprojekte nachgedacht, es war langweilig für mich, etwas für einen White Cube zu schaffen. Aber 2019 bekam ich mein erstes Atelier in Moskau. Seitdem habe ich einige Arbeiten produziert, die auf found footage, gefundenen Materialien, basieren, die ich von meinen verschiedenen Außenprojekten aufbewahrt habe, wie zum Beispiel Banner, wie alte Werbebanner.
Du hast bereits zwischen 2005 und 2009 drei Bücher über Street art in Russland veröffentlicht. Kannst du uns sagen, wie dein erstes Buchprojekt entstanden ist und was der Inhalt war?
Als ich 2003 nach Moskau zog, war ich von Graffiti nach und nach gelangweilt, weil sie den klassischen Styles ähnelten und keine Botschaft für das Publikum hatten. Ich begann, über den Aufbau einer Art Street-Art-Community in Russland nachzudenken. Im Jahr 2004 startete ich eine Website namens Visualartifacts.ru, auf der ich interessante Graffiti-Experimente aus Russland, der Ukraine und Belarus veröffentlichte. Ich ließ mich von Ekosystem.org inspirieren und versuchte, eine ähnliche Online-Plattform für Street art zu schaffen. Im Jahr 2005 beschloss ich, ein Buch zu veröffentlichen, und es war mein erstes Experiment mit Buchdesign und Veröffentlichung. Optisch ähnelte mein Buch einem Zine oder einer Broschüre, es war ein guter Anfang für eine Reihe von Ausgaben. Ich lernte schnell und veröffentlichte 2006 und 2008 zwei weitere Bücher mit dem Titel Objects book in einer Auflage von 3000 Stück. Meine Buchreihe war eine erste Printausgabe, die sich auf die russische Street Art-Szene konzentrierte und einige Künstler aus der Ukraine und Weißrussland vorstellte. Meine Editionen sind jetzt ein Archiv über die Anfänge der Street Art in Russland und im Archiv von GARAGE, dem Museum für zeitgenössische Kunst in Moskau, erhältlich: russianartarchive.net/en/catalogue/document/P3721
Von 2011 bis 2013 hast du das Projekt The Wall im CCA Winzavod in Moskau kuratiert. Auf deiner Website beschreibst du es so: „Es war ein offenes Ausstellungsgelände, eine Art Debattierclub, in dem interne und externe Probleme der Graffitikultur aktuell gemacht wurden. Jede neue Ausstellung sollte nicht nur einzelne Werke, KünstlerInnen und Trends zeigen, sondern auch eine Auseinandersetzung oder eine Erzählung sein, die sich mit speziellen kulturellen Prozessen und Praktiken der Street art sowie der Street art im Allgemeinen befassten“. Wie groß war dieses Projekt damals, mit welchen KünstlerInnen hast du zusammengearbeitet? Und kannst du einige interne und externe Probleme der Graffitikultur von damals nennen?
2011 lud mich mein Freund Kirill Kto, ein in Moskau lebender konzeptioneller Graffitikünstler, ein, das Projekt The Wall zu kuratieren. Dabei ging es nicht nur um die Bemalung einer Wand, die sich im Kunstzentrum befand. Damals war Street art noch nicht Teil der zeitgenössischen Kunstszene, und es gab keine öffentlichen Diskussionen über Graffiti und Street art. Wir beschlossen, einen Diskussionsclub zu verschiedenen Themen zu organisieren, in dem die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, experimentelle Praktiken und Aktivismus erforscht werden sollten. In 2,5 Jahren haben wir mehr als 30 Künstlergespräche, Vorträge und Diskussionen organisiert. Es war ein sehr wichtiges Projekt für die Graffiti- und Street art-Forschung, weil wir versuchten, eine andere Perspektive für die Entwicklung unserer Praxis zu finden.
2011 hast du das Kunstprojekt Partizaning als Plattform für den Austausch zwischen Aktivisten, Künstlern und Urbanisten (Frau und Mann) gegründet. Was waren die Aktivitäten und Ergebnisse dieses Projekts, und wird es immer noch fortgesetzt?
Das war zur gleichen Zeit, als ich das Projekt The Wall kuratierte. Zusammen mit Make, einem Aktivisten und Moskauer Graffitikünstler, organisierten wir Partizaning als eine Bewegung. Zuerst starteten wir eine Website als Plattform, auf der wir viele Straßenaktionen auf der ganzen Welt beschrieben. Partizaning.org war ein Online-Medium mit unseren kritischen Berichten über russische Projekte (Ausstellungen, Festivals, Stadtplanung), aber wir veröffentlichten auch unsere Vision, Städte durch Selbstorganisation zu verbessern. Unsere Hauptidee basierte auf Henri Lefebvres Idee des „Rechts auf Stadt“, das wir als Grundlage demokratischer Werte im städtischen Kontext verstanden. Als Gruppe haben wir zwischen 2011 und 2014 viele städtische Interventionen durchgeführt, um diese Vision zu verkünden.
Wie viele Menschen nehmen an Partizaning teil?
Das ist schwer zu sagen, denn die Bewegung war eine Art offene Quelle, aber wir hatten hauptsächlich Leute mit einem künstlerischen Hintergrund, Stadtplaner, Soziologen, Aktivisten, Guerilla-Gärtner. Es war eine sehr interdisziplinäre Gemeinschaft.
2016 erschien dein Buch Art and the city, für das du den Sergey Kuryokhin Contemporary Art Award für den besten Text über zeitgenössische Kunst (St. Petersburg) erhalten hast. Wie lange hast du an diesem Buch gearbeitet, und was ist das Besondere an dieser Publikation im Vergleich zu anderen über urbane Kunst zu dieser Zeit?
Ich begann mit der Arbeit an dem Buch während der Projekte The Wall und Partizaning, weil ich zu dieser Zeit so viele Informationen über die Geschichte sammelte, aber auch meine eigene Vision von Straßenpraktiken entwickelte. Im Rahmen von Veranstaltungen (Vorträge, Diskussionen, Festivals) begann ich ab 2011, einige Artikel zu schreiben, die sich langsam zu einer Buchidee entwickelten. Im Jahr 2015 beschloss ich, es zu veröffentlichen, hatte aber kein Geld für den Druck und startete eine Crowdfunding-Kampagne, die sehr erfolgreich war. Dies machte das Buch möglich. Ich entwarf ein Design, schrieb Texte und holte Bildrechte bei Künstlern und Fotografen ein – ein großes Abenteuer für mich und eine Menge Arbeit, die mich stolz machte. Ich bewarb mich mit dem Buch „Art and the City“ für renommierte Preise für zeitgenössische Kunst in Russland und erhielt 2016 den Kuryokhin-Preis und wurde in die engere Auswahl für den Kandinsky-Preis 2019 aufgenommen. Das war der erste Schritt zur Legitimierung und Anerkennung der Street-Art-Praktiken russischer zeitgenössischer KünstlerInnen, denn zuvor gab es in Russland keine Bücher zu diesem Thema, die auch noch für Auszeichnungen zugelassen waren.
In 2017 hast du eine Gruppenausstellung und ein Labor in Berlin kuratiert, die sich mit Urban art und Aktivismus in Osteuropa befassten. Wo fand sie statt, und wie hieß sie? Mit welchen KünstlerInnen?
2015 wurde ich zu einer Berliner Konferenz mit dem Titel „Russland vs. Russland“ eingeladen, die vom Butterbrot-Duo, Gründern und Künstlern aus Berlin, organisiert wurde: Sasha Goloborodko & Sasha Yurieva-Civjane. Die Konferenz befasste sich mit verschiedenen Konfrontationen innerhalb Russlands durch künstlerische und aktivistische Praktiken. Das war sehr wichtig für mich. Wir wurden Freunde, und sie beschlossen, die Konferenz in eine Plattform mit dem Namen „Koordinatensystem“ umzuwandeln. Wir begannen, mit einer breiteren Perspektive zu arbeiten. Wir konzentrierten uns nicht nur auf Russland, sondern auch auf Osteuropa, einschließlich der Ukraine, Belarus, Armenien, Mazedonien, Polen und Ungarn. Die Ausstellung, die ich 2017 mit Sasha Yurieva-Civjane kuratiert habe, fand in der CLB Gallery in Berlin statt und hieß „New Urban reality“. Der Fokus lag auf interdisziplinären Straßenpraktiken in Russland: Wir zeigten partizipative Projekte aus Krasnodar, einige Street artists aus Moskau, Nischni Nowgorod und Jekaterinburg. Gleichzeitig organisierten wir das Urban Lab in Berlin, zu dem wir Künstler und Aktivisten (Mann und Frau) aus Osteuropa einluden. Das Programm konzentrierte sich auf die Erforschung von Grassroots-Projekten in Berlin. Als Endergebnis wurde in Zusammenarbeit mit der MitOst-Stiftung ein Buch mit Texten der Teilnehmer veröffentlicht, es hieß „RECLAIM, RECODE, REINVENT: Urban art and Activism in Eastern Europe“. Ich war der Herausgeber.
In 2018 hast du das Buch Russian Urban Art: History and Conflicts geschrieben und veröffentlicht. Wie hat sich Urban art aus deiner Sicht verändert? Wie hat sie sich in Russland in den letzten vier Jahren verändert?
Sie hat sich sehr verändert, würde ich sagen. In Russland ist Urban art nun stärker in den White Cube integriert und wurde als visuelle Kunst zum Mainstream. Die Menschen lieben sie, weil sie leicht zu verstehen ist, farbenfroh und als Designobjekt gut zu gebrauchen ist. Im öffentlichen Raum wächst sie mithilfe von Steroiden (Geld), die meist von der Regierung unterstützt werden, und besteht hauptsächlich aus abstrakten öffentlichen Skulpturen oder riesigen Wandbildern. Für mich ist das nicht so interessant. Illegale Experimente sind im Moment ziemlich gefährlich, weil Russland jetzt einige sowjetische Repressions- und Zensurmittel anwendet. Und was mit sowjetischen KünstlerInnen geschah, die versuchten, etwas Inoffizielles zu tun, habe ich 2018 in meinem Buch beschrieben. Leider ist es im Moment ähnlich.
Du schaffst Interventionen im öffentlichen Raum, und in deinem Buch beschreibst du den öffentlichen Raum als Mittel zur Selbstdarstellung und als Ort der Interaktion mit einem Publikum. Ist das immer noch der Fall?
Es scheint so, als wäre es nicht mehr so effektiv wie früher. Soziale Medien und Smartphones haben unsere Aufmerksamkeit von der Straße auf den Bildschirm gelenkt, und die Menschen sind nicht mehr so engagiert wie früher. Aber das hängt von der Situation und dem Ort ab, denke ich. Für mich ist der städtische Raum nach wie vor interessant, weil man dort so viele verschiedene Kulturen, Designschichten, Kitsch und Werbung sehen kann, und er ist immer noch ein Ort, an dem man mit anderen kommunizieren kann. Die Straße ist definitiv ein sehr guter Ort, um mit Kunst zu experimentieren.
Findest du, dass sich der öffentliche Raum in den letzten 10 Jahren verändert hat?
Ich denke schon. Ich sehe, wie sich Berlin verändert hat, es sieht nicht mehr so arm aus wie früher, finde ich. Ich habe 20 Jahre lang in Moskau gelebt und alle Veränderungen in der Stadt beobachtet, vor allem in den letzten 10 Jahren hat es sich stark verändert. Das sind teils politische Gründe, aber auch in Moskau konzentriert sich das Geld des ganzen Landes (Russland ist ein sehr zentralisierter Staat) – das gibt es Privilegien, um ehrgeizige Projekte zu realisieren. Heutzutage kann ich Unterschiede zwischen Moskau, Berlin und Paris feststellen. In Moskau funktionieren alle Dienstleistungen viel besser (öffentlicher Nahverkehr, Zustellung, Reinigung), aber die Stadt ist zu groß, um dort zu leben (Bevölkerungsdichte, Staus, Umweltverschmutzung) und es gibt definitiv keine Freiheit, sich selbst auszudrücken – alles auf den Straßen wird geputzt und gereinigt. Für jede politische Aussage kann man ins Gefängnis kommen. Ich würde sagen, für den Preis der Freiheit gibt es jetzt dafür bessere Dienstleistungen für den Konsum.
Wirkt sich das auf deine Praxis aus?
Ja, natürlich, in Moskau empfinde ich den öffentlichen Raum nicht mehr als meinen Arbeitsraum. In Europa konzentriere ich mich im Moment mehr auf meine persönlichen Gedanken, weil ich hier einen sehr fragilen Status habe, etwas zwischen Einwanderer und Flüchtling ohne viele Vorteile und Rechte. Diese Situation ist völlig neu für mich, aber ich bin froh, dass ich so viele Freunde habe, die mich hier unterstützen.
Letztes Jahr hattest du eine Residency im ZK/U Zentrum für Kunst und Urbanistik in Berlin. An welchem Projekt hast du dort gearbeitet?
Ich war letztes Jahr im ZK/U, und wollte ein Visum für Freiberufler beantragen. Während des Aufenthalts hatte ich die Idee, einen Platz auf der Straße zu finden. Ich hatte alle Papiere perfekt vorbereitet, aber die Einwanderungsbehörde akzeptierte meinen Antrag nicht und ich kehrte nach Russland zurück. Dieses Jahr kam ich mit einer Reflexion über meinen Versuch vom letzten Jahr zurück ins ZK/U: Ich fertigte einen durchsichtigen Anzug als Haut (Migrationshaut) mit vielen Taschen an, die mit Bürokratiepapieren gefüllt waren. Meine Situation und mein fragiler Status hier im Ausland haben mich zu den Arbeitsthemen Grenzen, Bürokratie und persönliche Ziele geführt. Und es scheint, dass diese Arbeit vielen Menschen gefällt, weil sie eventuell eine ähnliche Erfahrung gemacht haben.
Wie hat sich deiner Meinung nach die Urban-Art-Szene im Laufe der Jahre verändert?
Ich sehe, dass Urban art mehr und mehr mit Wandmalereien wächst. Aber das hat nichts mit der ursprünglicher Street Art zu tun. Da gibt es keine Experimente, sondern es wird eher als Stadtgestaltung genutzt. Der britische Kurator und Anthropologe Rafael Schacter hat 2008 den Tod der Street art erklärt. Spontan habe ich zur gleichen Zeit eine Ausstellung über den „Tod“ der Street art gemacht, als sie anfing, durch „Steroide“ zu wachsen und sich dem Muralismus/Wandgestaltung zuwandte. Schacter definiert auch die zeitgenössische Transformation der Urban art, die in Galerien oder in städtischen Kontexten stattfindet neu. Im Jahr 2016 nannte er sie Intermural Art, was ebenfalls eine gute Definition sein könnte. Der Begriff Post-Vandalismus von Stephen Burke und Larisa Kikol (Kunstforum Bd.287) ist ebenfalls eine Visualisierung der Transformation der urbanen Kunst in etwas anderes. Dies ist vielleicht ein anschaulicherer Begriff für die zeitgenössische Kunst, die sich auf städtische Kontexte bezieht.
Du hast den Begriff „Post-Vandalismus“ erwähnt. Viele Jahre zuvor kam der Begriff „Post Graffiti“ auf. Was ist Post Graffiti für dich?
„Post-Vandalismus“ ist ziemlich neu, es beschreibt etwas, das auf Vandalismus basiert, aber es geht nicht um Style Writing, es könnte mit Graffiti verwandt sein, aber nicht nur, es ist eher interdisziplinär, denke ich. „Post Graffiti“ wurde 1983 erstmals verwendet. Es war der Titel einer Gruppenausstellung in der Janis Gallery in Sydney und eines Dokumentarfilms von Paul Tschinkel aus dem Jahr 1984. Es gab Interviews mit Keith Harring, Basquiat, Rammelzlee, Futura und anderen. Es gab auch Interviews mit Galeristen in New York. Es war ein Versuch von Kunsthändlern, die KünstlerInnen von der Graffiti-Subkultur abzugrenzen, denke ich. Aber der Begriff war irgendwie nicht populär, weil einige dieser KünstlerInenn keinen wirklichen Graffiti background hatten und ihre Praxis nicht mit Graffiti in Verbindung brachten. Die Terminologie in der Urban art ist immer irgendwie kompliziert…
Gibt es heute noch Street artists, die du originell und interessant findest?
Die meisten KünstlerInnen kann ich nicht als Street artists bezeichnen, denn das hat heute mehr mit Paste ups, Aufklebern, Schablonenarbeiten, Wandmalereien, einfach mit Bildern auf der Straße zu tun. Ich bin immer noch ein großer Fan von Brad Downey. Wir haben viele Projekte zusammen gemacht und arbeiten immer noch daran. Ich mag die Arbeiten von The Wa und OX, und es ist gut zu sehen, wie Mathieu Tremblin seine Praktiken in Richtung Partizipation verändert hat. Ich mag die konzeptionellen urbanen Interventionen von Wermke & Leinkauf, Epos 257, Vladimir Turner und Danilo Milovanovic. Eigentlich gibt es viele verschiedene KünstlerInnen, die ich mag, aber ich bevorzuge interdisziplinäre Arbeiten, die sich an der Schnittstelle zwischen Vandalismus, Kunst und Aktivismus, sozial engagierter Kunst, ortsspezifischer und konzeptioneller Kunst bewegen und Humor beinhalten.
Danke Igor!
instagram.com/igor_ponosov
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