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„SUMER pieces“: Howtokillagraffiti zeigt neue Sujets-Graffmalereien

, by Katia Hermann

Urban Spree Gallery, Berlin, 1.06. bis 13.07.2024



Der Berliner Maler Howtokillagraffiti  präsentiert in seiner 3. Einzelausstellung in Berlin neue Studioarbeiten, die 2023/2024 in seinem Atelier im Urban Spree über mehrere Monate entstanden. Nach seiner Einzelausstellung „Polyptychonsz“ in der Urban Spree Gallery 2022 mit monumentalen Arbeiten, konzentriert sich Howtokillagraffiti  mit seiner Graffmalerei für „SUMER pieces“ zwei Jahre später auf kleinere Formate mit Öl- und Mischtechniken. Ausgehend von seinem Writernamen SUMER greift er einige seiner persönlichen Erfahrungen und Gedanken über Graffiti Writing, der Malerei und über unsere Gesellschaft auf, die er in einem sehr persönlichem Statement (siehe unten) festgehalten hat.



Die neue Einzelausstellung zeigt über 25 Leinwände, die im Atelier entstanden, sowie aber auch eine Leinwand von 3,40 auf 10 m lang, die er drei Tage vor der Eröffnung draußen an der Wand des Urban Spree schuf. So wie er sonst auch seine Wandmalereien malt, d.h. spontan und freestyle mit Wandfarbe und Sprühlack in einigen Stunden, entstand das „Hallbild“ draußen, um dann in den Innenraum, in den 2. Ausstellungsraum der Galerie, den dark room zu wandern. Somit schafft er seine Wandmalerei mit in den Ausstellungskontext einzubauen.



Howtokillagraffiti’s Leinwandarbeiten aus Ölmalerei neben und mit Aerosol, altmeisterliche Technik und zeitgenössische Wandmalereitechniken, seine charakteristische Graffmalerei, überrascht dieses Mal in „SUMER pieces“ mit neuen Formaten und persönlichen Sujets, die sich hier in seinem folgenden Statement erklären:


SUMER Pieces (Bild „Ostkreuz Kiesgrube/Malersau“)

Statement von HOWTOKILLAGRAFFITI aka SUMER



Es ist ein Dreiklang aus der Erkenntnis, dass man in einer Welt der völligen Ungerechtigkeiten lebt und dass die eigene Wirksamkeit und Handlungsmöglichkeit sehr begrenzt ist. Also das Ende der naiven Jugend, in der man noch unendlichen Veränderungswillen hat. Aus dieser Überforderung mit der Welt, den Grausamkeiten und der fehlenden Selbstwirksamkeit erfolgt die Flucht, ein Eskapismus ins Sumer Paradise, auf die Sumer Insel. Auf der Insel geht es nur um die künstlerische Auseinandersetzung mit der Malerei. Der Künstler beschäftigt sich mit seinem Prozess. Das heißt, ich habe mich mit meinem Prozess beschäftigt und bin so von Sommer zu Sommer in Flashbacks die Etappen zurückgegangen, dabei zieht sich die Entwicklung und der Prozess von Graffiti zur Malerei als roter Faden durch die Jahrzehnte. Die Widerwirkungen, die Hin- und Her-Schwünge, die Kämpfe und die Symbiosen. Mit dem Fazit: Das Resultat dieses Werdegangs muss sein: Graffiti malen mit allen Methoden der Malerei. Welche Wege gibt es zurück zum Ursprung? Weit zurück zu den Sumerer. SUMER mein erster Writername! Das 20. Jubiläum meines Writernamens SUMER! 20 Jahre SUMER unter den Seziertisch der Malerei zu nehmen, pastos, altmeisterlich, komplett nur gesprüht, mit Figuren übersät, überwildert, organisch belebt, kalt betoniert. Die Serien begannen eigentlich mit einer Auftragsarbeit eines Familienporträts, für das ich nach der letzten Show „Polyptychonsz“ in der Urban Spree Gallery ein Kleinformat wählen musste, weil klar war, dass es an eine Wohnzimmerwand soll. Und so war ich gezwungen, auf kleinen Leinwänden auch mal einen kleinen Pinsel zu benutzen. Ja, das geht auch, und ich habe Freude daran gefunden. Ich habe mit dem Bild gelebt und immer wieder daran gemalt, und nebenbei sind kleine Studien entstanden: Ölskizzen, Porträts. Dies das. Währenddessen wurde mir bewusst, was ein Familienporträt aussagen will, was Bedeutung bringt und worauf es ankommt. Was zählen da noch die Tweets des Tages, über die sich alle echauffieren, die neuen Nachrichten aus dem Stellungskrieg? Früher waren Familienporträts oft religiös geprägt, die Religion wurde durch den neoliberalen Kapitalismus ersetzt, der die Seele zerfrisst, durch die kalte Hand des Marktes. Was macht also ein Bild aus? Was soll es ausdrücken? Dann spielt alles Weltliche keine Rolle, sondern die innere Insel: die Familie, Freundschaft, Hobbies, Liebe und Leidenschaft. Es klingt makaber, wie eine Abgrenzung zur Welt, das mag auch so sein, aber das ist eine Gesundung. Denn man kann sich nicht in so einer kaputten Welt täglich an ihr reiben. Es ist die Suche nach der Position zwischen dem absoluten Gehorsamsmenschen und dem Märtyrer, der sich für die Bekämpfung der Schrecken der Welt aufopfert. Und man muss sich auch eingestehen, dass man, oder nicht jeder, die körperliche  Kraft und die mentale Stärke dazu hat. Ich meine nicht einmal aktiven Aktivismus, sondern schon allein die tägliche Beschäftigung und das Mitleiden mit den Krisen der Welt. Nichts wird besser, wenn man das permanent tut und zu Grunde geht. Also kommen wir zurück zur SUMER Insel, dem Privaten, dem persönlichen. So ist es wie jedes Popsternchen ausnahmslos über jedes ihrer Alben sagt: Das Persönlichste. Hier aber for real! Meine persönlichsten Bilder. Ich habe nicht mehr versucht, wie bei der letzten Ausstellung „Polyptychonsz“ mit monumentalen Bildern die Welt einzufangen, in Knäuels der Weltenfänger, den großen Themen, die man nur vage greifen kann. Sondern ich bin konkret in mein Material, meine Biografie, die Auseinandersetzung mit Graffiti versus Malerei hineingegangen. Nach dem Familienporträt, als ich mich im Kleinformat wohl fühlte, bin ich auf ein Mittelformat gewechselt. Das erste Bild heißt „Ostkreuz Kiesgrube/Malersau“, in Erinnerung an meine Lieblingshall und Corner am S-Bahnhof Ostkreuz, die Wühlisch Hall aka Spielplatz, die es leider nicht mehr gibt, weil die Writer zu viel Müll gemacht haben, wie immer. Und da sitze ich als junges Ich, Sommerbeginn. Sommer spielt bei mir immer eine große Rolle des Aufbruchs. Denn nach dem kalten, dunklen, depressiven Winter kommt der Aufbruch und die Energie zurück. So kommt die Wortklangassoziation mit summer oder Sommer nicht von ungefähr. Und den Erfindern der Schrift. SUMER Pieces also. SUMER Stücke, Snapshots aus der Writing-Laufbahn. Pieces zusammengesetzt, verschiedene Techniken zu einem Konglomerat des Schaffens. So zeigt dieses Bild eine Situation an der Hall, er denkt: Ich kann nicht mehr in diesen Regeln des Graffiti, der Firstlines, des Füllens, der 3D, der Second, des Schattens – Ich kann mich den Richtlinien des Graffiti nicht mehr unterwerfen. Sie waren dann auf einmal so präsent und so groß. Obwohl Graffiti doch auch als Flucht, als Eskapismus in der Jugend, als Abenteuer abseits der Regeln der Gesellschaft ist. Dennoch bei Regellosigkeit, begegnete dir damals die Szene mit absoluter Regelhaftigkeit. Fuck eine Subkultur mit mehr Richtlinien und Hierarchien als das Staatsministerium, wo bin ich gelandet. Das ist nicht meine Insel. Ich bin ein Mensch, der dann sehr konsequent und radikal mit Sachen bricht. Und ich wusste, bei dem SUMER Piece hatte ich das U verkackt, es sah aus wie ein L. Ich hatte keine Dosen mehr, nur noch ein Rot und ich war nicht einmal frei genug, um das Rot zu benutzen, um damit einen U-Balken zu ziehen. Das Rot war für die Second, das stand fest. Und dann wurde mir klar, ich wurde traurig: ich bin gefangen, ich bin nicht frei genug die Dose anders zu benutzen als vorgesehen. Da beschloss ich: Kill it. Kill the rules. How to kill a graffiti? Aus Liebe zum Graffiti und zum Prozess müssen Regeln gebrochen werden. Die Erkenntnis: Mir muss es Spaß machen, auch wenn andere das skeptisch beäugen. Das ist meine Freizeit, ich will keinen Arbeitscharakter. Graffiti hat einen starken Arbeitscharakter: 1, 2, 3, 4 Schritte. Repetitiv. Also bin ich zur Malersau geworden, ich habe mich durchgewühlt durch den Kies – den Kies der Farbe, der Malerei, der Historie der Ölmalerei, Öl vor allem, die meisterlichste Form der Malerei, nicht die billig plastikanmutende Acrylsynthetik-Optik, die digitale Bildsprache spiegelnd, mimend. Sondern die tiefe Grube des saftigen, süffigen Öls. Und so schreibt und malt sich das Malerschwein wie ein Erdferkel durch die Suppe, aller Widerstände zum Trotz. „Mach mal was Ordentliches“ raunt es aus dem Umkreis. Zudem kam, dass ich an den beiden Kunst Unis in Berlin, UDK und Weißensee, – dort wollte ich speziell wegen dem Professor Werner  Liebmann hin – abgelehnt wurde. Mappen waren auch nicht gut. Das heißt, Widerstände waren da und ich musste mich durchknäulen, es brauchte Sturheit. Und nicht viele haben es anfangs nachvollzogen und begrüßt, weil es eine radikale Entscheidung ist und viele, die im normalen Arbeitskosmos sind, sehen das anders. Man trägt nicht zum sozialen System bei. Dann ist man natürlich hier und da aufs Jobcenter angewiesen, denn mit Malerei verdient man halt nicht, außer man ist ein Superstar. Man gilt schnell als Schmarotzer. Dagegen muss man sich auch aufstellen und trotzdem sagen: Es ist mein Leben und mein Leben ist bestimmt von Malerei! Und ich gebe dem System halt nicht die kalte Steuer zur Unterstützung, sondern versuche, das mit der warmen Liebe (verlegener Schwitz, Lach Smiley) der Malerei der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Und das Kapital liegt mir sowieso nicht. Ich würde eh nicht irgendwas Großes beitragen zum Bruttoinlandsprodukt. Sorry Germany. Alter Deutschland, oda? Fuck, ich brauch jetzt ein Bier, mein Kopf rauscht vor Gedanken… Das waren die Gedanken, die dem Protagonisten, dem blonden Jüngling auf dem Bild durch den Kopf gehen. Traurigkeit macht sich breit, und gleichzeitig die Ahnung einer Erkenntnis, der zügellose Aufbruch kommt. Und so gräbt sich das Malerschwein durch und durch und kommt zum Figurenknäuel: How to kill a graffiti. Post Sumer Style aka Johny Sumer. Das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit der Malerei, wobei für diese Ausstellung „SUMER pieces“ versucht wurde den Prozess zu visualisieren: bestimmte Phasen, Gedankengänge, Experimente. And that’s it. Enjoy!


urbanspree.com
instagram.com/howtokillagraffiti


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Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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