Skip to main content

28 Jahre später:  2. Auflage von „Theorie des Style – Die Befreiung des Alphabets“ (von 1996)

, by Katia Hermann

Von CHEECH H, SCUM aka CEMNOZ und TECHNO 169 aka STONE aka Don Karl 2. Auflage erschienen bei Hitzerot, Berlin 2024

Während eines Forschungsstipendiums im Jahr 2017 hatte ich die Originalausgabe von Theorie des Style – Die Befreiung des Alphabets aus dem Jahr 1996 in den Händen. Ich besuchte damals Don Karl in seinem Büro vom Verlag Here to fame publishing in Berlin. Er hatte nur noch ein Exemplar von Theorie des Style – Die Befreiung des Alphabets, es war leider schon lange vergriffen. Es war das beste theoretische Buch zum Thema Style Writing, das ich damals in Berlin gefunden hatte. 2018 hatte ich die Chance, die Fotoausstellung SORRY! in Berlin zu kuratieren, gemeinsam mit Mark Straeck. 2019 wurde diese als Berlin:Writing Graffiti auch in Brüssel gezeigt und es erschien der gleichnamige Ausstellungskatalog im Verlag Hitzerot. Für diese Ausstellung hatte ich damals Don Karl und Cemnoz gefragt, ob ich einige Passagen aus ihrem Buch für die Ausstellung verwenden durfte. Sie stimmten zu und wir druckten einige Passagen in einem Heftformat ab, zum Durchblättern für die Besucher*innen in der Ausstellung. Bei der Eröffnung von der Ausstellung in Berlin sprachen wir über eine Neuauflage dieses wichtigen Buches mit den Machern von Hitzerot. Fast jedes Jahr, wenn ich Don Karl oder Sascha Blasche von Hitzerot traf, fragte ich immer wieder, was nun damit sei. Als ich hörte, dass sie daran arbeiten, habe ich mich sehr gefreut. Genau 6 Jahre später ist es tatsächlich passiert. Die 2. Auflage gibt es nun wieder auf Deutsch und auch auf Englisch zum 1. Mal.

Anstatt einen Review zu schreiben, habe ich mich entschlossen den Co-Autor Don Karl ein paar Fragen für diesen Beitrag zu stellen. Ich kann nur allen Lesern empfehlen, dieses Buch zu lesen.



Interview mit TECHNO 169 aka STONE aka Don Karl

Du erzählst in der hinzugefügten Einleitung im separaten kleinen Booklet von der Neuauflage Theorie des Style – Die Befreiung des Alphabets wie es zu diesem Buch kam.
Kannst Du es hier mal für die Leser, die das Buch noch nicht kennen, kurz erläutern, wie es denn zu diesem Buchvorhaben im Jahre 1996 kam?

Die Arbeit am Buch begann schon 1989, da waren Cemnoz und ich sehr aktiv auf Zügen und Wänden in München. Unser Style hat sich da sehr weiterentwickelt. Cheech und ich haben uns Briefe geschrieben, weil er da nicht in der Stadt war. Drei dicke Aktenordner, ein großer Teil davon konkrete Arbeit an der Theorie des Style.



1991 hatten wir zu dritt die Ausstellung Graffiti Futurismus,  dann haben sich unsere Wege getrennt. 1996 haben wir dann alle zusammen das Buch hoch konzentriert geschrieben. Es erschien zur Ausstellung A Tribute to Style im Kallmann Museum bei München.



Wie alt wart ihr drei Macher CHEECH H, SCUM aka CEMNOZ und Du denn 1996?

Alle so 27-28 Jahre alt.


Seid ihr vorher in New York gewesen?

Ja klar, Cemnoz und ich waren das erste Mal 1986 in New York, wir hatten das Glück, die komplett gebombten Subways noch erleben zu dürfen.


Habt ihr dort recherchiert? Wo noch?

Da habe ich auch recherchiert, allerdings für mein erstes Buch Die Züge gehören uns, welches 1987 im Heyne Verlag erschienen ist. Die Recherche zu Theorie des Style fand hauptsächlich in Büchern und Bibliotheken statt. Wir haben stapelweise Bücher gelesen und überall Bezüge zum Stylewriting entdeckt. Kandinsky, Kant, Popper, Camus, Wittgenstein Stanislaw Lem, Harald Fritsch, Stephen Hawking, Alan Turing. Das fanden wir alles relevant. Natürlich auch Bücher zur Schriftgeschichte und die Texte von Rammellzee und Phase2.


Habt ihr Writer im Vorfeld interviewt?

Nein, wozu? Darum ging es auch gar nicht, wir haben da alles, was wir selbst wussten und herausgefunden hatten, hineingepackt.


Du schreibst in der Einleitung der Neuauflage, dass es nur eine kleine Essenz der Überlegungen von CHEECH H und Dir in das Buch geschafft haben. Welche haben es denn geschafft?

Zu jedem der besprochenen Themen und Kapitel hätten wir noch viele Seiten Ausführungen gehabt und viele weitere Überlegungen anstellen können. Unsere ursprüngliche Fantasie war ja schon 1989, dass wir Style so genau und allumfassend definieren wollten, dass eine KI damit Styles erschaffen könnte.


Gibt es denn noch weitere Überlegungen/Niederschriften von Euch beiden von damals, die hier nicht vorkommen, die man ggf veröffentlichen könnte?

Wir alle drei haben viele Texte geschrieben, einiges haben wir auch veröffentlicht, manches nicht. Meine frühen 3D-Style Experimente flossen 1992 in einen geheimen Text, dem Codex Technozoikum ein, nur ganz ausgewählte Persönlichkeiten wie zum Beispiel Torch haben den erhalten. 1993 haben Cheech und ich Fantastiturbula geschrieben, einen Science-Fiction-Roman. Mangels Schreibmaschine per Hand und bei Kerzenlicht in einem Fischerdorf in Ghana entstanden. Und Cemnoz hat über die Brüderschaft des Styles, sein Leben und seine Perfomance-Kunst geschrieben.


Wenn ihr „Theorie des Style – Die Befreiung des Alphabets“ nochmal neu schreiben könntet und erweitern würdet, was würdet ihr hinzufügen?

Nichts, das ist in der Form ein zeitloses Dokument, deswegen haben wir es ja so wie es ist noch einmal veröffentlicht. Das heißt natürlich nicht, dass seitdem nichts passiert ist und es nicht wahnsinnig viel Neues über Style zu schreiben geben würde.


Du erwähnst in deiner Einleitung die Weiterentwicklung des Style, so auch den Antistyle, die Brüche und Weiterentwicklungen mit dem klassischen Style Writing seit Mitte der 90er Jahre. Was ist denn da stilistisch passiert Mitte der 90er (wo, wer)?

Mitte der 90er kam die totale digitale Vernetzung. Dann war es endgültig vorbei mit einzelnen Inseln, wo Styles für eine Zeit unbeeinflusst ein eigenständiges Leben führten. Es wurden jetzt absolut unüberschaubar viele Writer auf der ganzen Welt. Die Latte wurde in allen Aspekten insbesondere im Trainwriting immer höher gehängt. Mitte 90er war auch der Punkt erreicht, wo alle Kunststile und Techniken vom Graffiti Writing absorbiert und für Style verfügbar wurden. Trotzdem gab es bis heute immer wieder auch einzelne Writer, die einen ganzen Stil geprägt haben, den man dann plötzlich überall sah, oft benutzt von Writern, die sich dessen überhaupt nicht bewusst waren. Wir hatten damals noch eine sehr lineare Entwicklung gesehen und mit der Theorie des Style erzählen können. Heute ist Style ein Fraktal mit so vielen Facetten, dass es auch den größten Nerds schwerfällt, da die Äste nachzuzeichnen.


Könnten diese Weiterentwicklungen nach Mitte der 90er Jahre auch Thema einer ähnlichen theoretischen Publikation sein? Siehst Du da ein besonderes Interessenfeld für Untersuchungen?

Es gab bestimmt viele, die sich da Gedanken gemacht haben. Sehr viele Writer haben ja über Style geschrieben oder gesprochen. Ein paar Ansätze in Buchform hat man auch gesehen. Die Geschichte vom europäischen Wild Style zum Antistyle zu Abstract Graffiti bis zu den vielen freien wunderbaren Style-Konstrukten, die man heute sieht. Das würde ich wahnsinnig gerne lesen.


Welches Kapitel findest Du persönlich am wichtigsten in „Theorie des Style – Die Befreiung des Alphabets“?

Die sind alle total wichtig. Ich hoffe das keiner von uns dreien da mal was anderes dazu sagt.


Welche Skizze im Buch gefällt Dir persönlich am besten?

Den einen Favoriten habe ich nicht. Es ist eine besondere Auswahl von ganz besonderen Writern aus verschiedenen Epochen: Phase 2 frühe 1970er, Crime Time Kings frühe 1980er, Cheech’s und meine 3D-Experimente von 1989/1990 und dann die vielen Kontributionen von 1996.



Pressemitteilung

Theorie des Style – Die Befreiung des Alphabets

Theorie des Style war ein Buch, das ursprünglich anlässlich der Ausstellung A Tribute to Style in der Nähe von München im Jahr 1996 veröffentlicht wurde. 13 Jahre nachdem Graffiti-Writing von New York aus in die Welt zog, war München eine der Metropolen des Stylewritings. CHEECH H und TECHNO169 (STONE), beide Writer der ersten Generation, tauschten zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahren Briefe und Gedanken zum Thema Style aus. Zusammen mit SCUM (CEMNOZ) veröffentlichten sie die erste tiefgreifende Analyse der Buchstabenformen, des Stylewritings und seiner Ursprünge. Heute ist Stylewriting immer noch ein wichtiges Genre innerhalb von Graffiti, das von Tausenden von Writern weltweit praktiziert wird. Auch wenn sich die Techniken weiterentwickelt haben, bildet die Gestaltung der 26 Buchstaben des Alphabets in Anlehnung an die New Yorker Traditionen nach wie vor die Grundlage der meisten Writer-Pieces. Der analytische Inhalt hat nichts von seiner Bedeutung eingebüßt, so dass es absolut legitim erscheint, ihn rund 30 Jahre später wieder verfügbar zu machen.

Das authentische 90er-Jahre-Layout von SMAL (Mirko Borsche) wurde, abgesehen von kleineren Korrekturen, ebenso wie der Inhalt nahezu unangetastet gelassen. Um die ursprüngliche Ästhetik beizubehalten, wurde auch die Übersetzung nicht nur hinzugefügt, sondern als separates Buch erstellt, so dass der Inhalt nun erstmals auf Englisch verfügbar ist. Wir freuen uns ganz besonders, diesen längst vergriffenen Klassiker als hochwertiges Hardcover mit einem zusätzlichen retrospektiven Einleger von TECHNO169 (STONE) neu aufzulegen.

Mit Werken von: BOMBER, DAZE, CHEECH H, PHASE2, DELTA, TECHNO169 (STONE), BANDO, DAIM, SHOE, SMAL, ATOME, BATES, SCUM (CEMNOZ), AMOK, PUPPET, SKENA, PAZE, CALEB, DARCO, und NEON.

96 Seiten, 21 x 14 cm, Hardcover Sprache: Deutsch oder Englisch (2 verschiedene Bücher) Erscheinungsdatum: Mai 2024 (1996) ISBN: 978-3-9820295-6-6

Verlag: Hitzerot

Erhältlich für 30,00 € bei https://hitzerot.com

80 views

Categories

Tags:

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

19 − zehn =