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Book Review: Unerlässliche posthume Monografie „Daniel Weissbach aka COST aka DTagno“

, by Katia Hermann

Vier Jahre nach seinem Lebensende ist nun eine zweisprachige Monografie über den Berliner Künstler Daniel Weissbach (* 1976, DE, † 2020, DE) erschienen. Seine langjährige Galerie Ruttkowski;68 hat diese umfassende „Retrospektive“ auf 528 Seiten mit Texten auf Deutsch und Englisch im Januar 2024 herausgegeben. Nach zwei Jahren intensiver Zusammenarbeit einer Gruppe von Menschen, die mit dem Künstler auf unterschiedliche Weise verbunden waren, und den künstlerischen Nachlass organisierten und analysierten, entstand dieses umfassende Werk mit wunderbaren Abbildungen und Texten von Jöran A. Belling-Lindberg, Vincent Grunwald, Iris Hempelmann, Olga Hohmann, Gregor Jansen, Robert Kaltenhäuser, Thomas Max Waldmann, sowie mit Textauszügen/Zitaten des Künstlers.

Das Buch umfasst die Schaffensphasen von Daniel Weissbach / DTagno / COST ab 2005. Denn der Berliner Künstler verwendetet mehrere Pseudonyme für seine Arbeiten im Graffiti und Writing-Kontext ab 1988, und seinen Namen für seine Studioarbeiten im Ausstellungskontext. In den 90er Jahren entwickelte er als TEKNO/TAGNO einen individuellen und wiedererkennbaren persönlichen Stil als Graffiti Writer, der im nächsten Jahrzehnt mit der Umbenennung seines Writer Namen in COST seine Vollendung fand.



Die Monografie „Daniel Weissbach aka COST aka DTagno“ beginnt hier, nach 2005, und zeigt die Komplexität und Einzigartigkeit seines Schaffens in 5 verschiedenen Phasen von jeweils 2 bis 3 Jahren, und ist chronologisch rückwärts aufgebaut (2020-2005). Mit darunter sind immer wieder ganzseitige Abbildungen seiner Leinwände, seine nummerierten Serien, genannt Stelle#Nr, die uns zum längeren Betrachten einladen. Und immer wieder begegnet uns auch Daniels Handschrift. Auf der allerersten Seit trifft uns eine berührende Botschaft aus seiner Hand: „ 26.6.20 – Ich liebe Euch über alles & es geht mir gut (Smiley-Herz)“. Auf der zweiten Seite mit dem Titel der Publikation wurden seine mit Marker gezogenen Tags COST und DTagno sowie seine Unterschrift eingefügt. Somit ist der Leser gleich mit Daniels persönlicher Handschrift konfrontiert, mit der Linie und der Schrift, die in seinem Werk fundamental sind.

Der Klappentext führt den Leser in die durch seine Kunst transportierten Gedanken: „Das Entstehen und Zerfallen, Aufbauen und Zerstören, der ewige Wandel und die ihm immanenten Notionen von Unendlichkeit füllen die Werke Daniel Weissbachs mit der Energie der Zeit als Grundbedingung menschlichen Daseins. Durch die materialisierten Bewegungen, die manifestierten Gesten und eingefrorenen Momente erschaffte er eine Sprache, die Unbenanntes zu nennen vermag, die Zwischenräume ausführt und zu Protagonisten macht, die Vergangenes in die Gegenwart holt. Als wäre ein Leben, ein Mensch nicht genug, um Möglichkeiten und Begrenzungen der weltlichen Ordnung hinlänglich zu hinterfragen, katalysierte Daniel die Ambiguität der Existenz in vielfältige Identitäten. Dieses Buch ist ein Versuch, sein Gesamtwerk abzubilden, um den Wert seines künstlerischen Schaffens über die Zeit zu erhalten.“ Der Einleitungstext von Vincent Grunwald, der das Buchprojekt erklärt, endet mit: „Die vorliegende Publikation ist ein Mosaik aus uns allen, die wir daran beteiligt waren, und ein Zeugnis der unbändigen Lust am experimentieren“.



Dieses Mosaik ist auf jeden Fall gelungen und mit originellen Ideen für Aufbau und Grafik umgesetzt worden. Die diversen Texte liefern uns interessante Blickwinkel auf seine Kunst und den Menschen. Mit kunsthistorischen Referenzen seiner Arbeit, Gedanken zu Werkserien, zum Gesamtwerk, zum Writing. Geschichtserzählungen wie eine Projektreise nach Indien von Robert Kaltenhäuser und seine Analyse von DTagnos Schaffen, bilden den längsten Beitrag. Zudem gibt es Werkbeschreibungen (wie z.B. auch Performances mit Markus Butkereit), sowie Konzepte und Gedanken des Künstlers selbst.

Manche Textpassagen sind besonders aufschlussreich, wie z.B. Daniel Weissbachs eigenes Statement zum Graffiti Writing (von 2007), mit Parallelen zum Kunstbetrieb, zum Film, und dessen Weiterentwicklung: „Writing ist ähnlich wie der etablierte Kunstbetrieb strukturiert und funktioniert nach gleichen Mechanismen. Trotz seiner Herkunft aus der Straßenkultur bleibt es, wie andere konzeptionelle Ansätze, elitär. Writing setzt ebenfalls ein ausführliches Studium der Hintergründe und Geschichte voraus, um seine Zeichen und Codes zu erkennen und dechiffrieren zu können. In der Stadt hat Writing neue Ebenen geschaffen, die gelesen werden oder bei denjenigen Verwirrung stiften, die es nicht lesen können. So wie der Film seine Sprache hat, die eine Regisseur:in sprechen muss, um von Zuschauenden verstanden werden zu können, so hat auch Writing seine Sprache entwickelt. Writer:innen sowie auch Filmemacher:innen halten die Oberflächen ihrer Sprachen immer in Bewegung und suchen nach Möglichkeiten, diese zu verfeinern oder aufzubrechen, um etwas Neues wachsen zu lassen. Somit ist diese Sprache, wie auch jede andere Sprache, zeitlichen Veränderungen unterworfen, die das Verstehen für Außenstehende erschweren.“ (S. 482 ; Auszug aus einem Beitrag zum Buch „Das Gedächtnis der Stadt schreiben“, Dokument Press, 2007).



Im Graffiti Writing entwickelte COST/DTagno innovative Ansätze und Konzepte für Schriftbilder, beschäftigte sich intensiv mit One-Liner-Zeichnungen, der puren Linie, der malerischen Abstraktion von Buchstaben und Styles, baute innovative Werkzeuge zum Sprühen (wie z.B. das Gerät), die in Performances zum Einsatz kamen und filmisch als Videoarbeit festgehalten wurden. Seine konzeptionellen, avantgardistischen Ideen zum Writing inspirierten andere Graffiti Writer weltweit in den 2000er Jahren und hinterlässt Spuren bis heute. Durch seine bahnbrechenden Ideen, Beherrschung seiner selbstentwickelten Werkzeuge und perfektionistischen Ausführungen, wurde er für viele im Graffiti Bereich zum King und einer Ikone. Mit dem Kollektiv DIAMONDS schuf er abstrahierte großflächige kollektive Malereien auf Wänden und Zügen, die ebenfalls von Berlin aus für neue Anregungen im Writing sorgen sollten und im Buch ebenfalls zu finden sind. 2008 beschreibt DTagno für seine Webseite seine damalige Praxis folgendermaßen: „Ich schreibe Figuren und male Schrift. Ich beschäftige mich mit den Grenzen zwischen Text und Bild. Ich verwandle Schrift in ein Genre, so wie Portraits, Landschaften und Figurenstudien gemalt werden. Die Grenzen zwischen Symbol, Bild und Text sind fließend, immer in Bewegung“ (S. 450).



Daniel Weissbach’s Atelierarbeiten, die er zwischen 2006 und 2020 schuf, die Praxis im Innenraum, war ihm genauso wichtig wie seine Arbeit im Außenraum und waren eng miteinander verknüpft. Sehr produktiv im Atelier ab 2010, stehen seine Leinwandserien in dieser Monografie bildlich auch im Vordergrund. Einen Zusammenhang zwischen seinen Arbeiten im urbanen Kontext und seinen Atelierarbeiten beschreibt er hier: „In meinen Arbeiten beschäftige ich mich oft mit der Transposition urbaner Phänomene in künstlerische Ausdrucksformen, in den Innenraum der Kunst (…)“ (S. 347).



Urbane Phänomene wie z.B. an Wänden, in den U-Bahnhöfen Berlins, auf dessen verschiedenen Kacheln und Fugen, wo Weissbach die Spuren der Zeit aufspürte, Details abfotografierte, abmaß, wie ein Archäologe. Mit geschultem Blick durch das Writing im Urbanen, das „Scannen“ von Oberflächen, fand er diese besonderen Stellen, die ihn ästhetisch und geistig inspirierten. Diese unzähligen Stellen aus dem Außenraum wurden in seinen Leinwänden als temporär festgehaltene Zeit-Impressionen, Texturen, Spuren von Menschen, Überbleibseln, Materialveränderungen durch Zerfall, Schicht für Schicht in die Leinwandoberfläche mit malerischen Mitteln eingearbeitet. Auch das Motiv der Kachel, des Rasters/Gitters der Fugen, der „BVG-Kachelmuster“ nahm Daniel Weissbach immer wieder spielerisch auf, verändert, transponiert in seinen Leinwänden mit Acryl- und Lackfarbe. Diese Stellen an den Wänden der Stadt festzuhalten, sie als Motive in einer neuen Materialität und anderer Dimension darzustellen, und somit sichtbar zu machen, ist gleichzeitig der Versuch, sie als Kunstwerk als „Momentaufnahme einer lebendigen Fläche“ zu verewigen. „Ich benutze die menschengemachten Flächen, um sie mit einer Information zu versehen. Das kann das Psychogramm sein, aber auch der eingefrorene Moment, der für mich eine ganz wichtige Rolle spielt in den Arbeiten. Die Arbeiten zeigen immer nur einen Moment des Zerfalls. In Wirklichkeit arbeitet die Fläche, diese Haut da draußen weiter“, äußerte Weissbach 2014 in einem Video zur Ausstellung Stellen/Places bei Ruttkowski;68 in Köln.



Das stimmt sehr wohl, die Fläche, die Haut seiner Stadt Berlin arbeitet da draußen tatsächlich immer weiter, und manche Stellen beinhalten bestimmt weiterhin die Spuren von COST88/KOST/TEKNO/TAGNO und DTagno in ihrer tieferen Oberfläche.

Das Buch endet mit dem Index, die Zusammenstellung all seiner Werke in Serien, von 2020 zu 2006, chronologisch rückwärts aufgeführt, mit kleinen Abbildungen, und bildet einen tollen Überblick über sein vielfältiges künstlerisches Schaffen mit verschiedenen Medien. Der Index ist hier als eine Art Catalogue raisonné, als Werkverzeichnis, zu betrachten. Diese Publikation mit vielen Abbildungen, wie von seiner Writing-Praxis Skizzen, Zeichnungen, Graffiti Pieces an Wänden und Zügen, seiner Wandmalereien, Installationen, Videoarbeiten, von seinen selbstgebauten Geräten, sowie von zahlreichen Atelierarbeiten auf Leinwand, Papier, Holz oder Glas, führt uns Daniels künstlerisches Talent voller Experimentierfreude und Originalität vor Augen.



„Daniel Weissbach aka COST aka DTagno“ ist ein hochwertiges  Kunstbuch geworden, ein kostbares Dokument über das Schaffen eines einzigartigen Künstlers, welches man mit Neugierde und Freude behutsam durchblättert, mit visuellen und schriftlichen Überraschungen, von nahestehenden Menschen des Künstlers vermittelt, das es letztendlich unmöglich macht von Daniel Weissbach nicht berührt zu werden. Ein Must-have für Graffiti Writer, die sich nicht nur für klassisches Style Writing interessieren, eine Bereicherung für Kunstliebhaber der Gegenwart und auch für jede Kunstbibliothek.

Gleichzeitig findet eine Einzelausstellung, seine vierte – und erste posthume – Einzelausstellung Stellen in der Ruttkowski;68 Galerie in Düsseldorf vom 20.01. bis 24.02.2024 statt.



Erhältlich bei:
hitzerot.com
ruttkowski68.com


Zur Publikation

Hardcover, 528 pages, 22 x 30.8 cm, German/English, January 2024
ISBN: 9783911028004, Preis: 60,00 €
Editors: Dirk Gössler, Steffen Köhler, Matthias Hübner
Publisher: Ruttkowski;68
Distribution: Hitzerot, Ruttkowski;68
Texts: Jöran A. Belling-Lindberg, Vincent Grunwald, Iris Hempelmann, Olga Hohmann, Gregor Jansen, Robert Kaltenhäuser, Thomas Max Waldmann
Design: Büro Bum Bum

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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