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Blazej Rusin, Polen: Abstrakte Post-Graffiti-Malerei mit Spirit

, by Katia Hermann

Die frühen Jahre mit Graffiti Writing

Der Maler Blazej Rusin wurde 1988 in Bielsk Podlaski, im Nordosten Polens, in der Nähe des ältesten Waldes Europas, dem Bialowieza-Urwald, geboren. Im Alter von 7 Jahren zog er in eine größere Stadt, Bialystok, wo er seine Kindheit verbrachte. Als Kind schon zeichnete Blazej viel, und er erinnert sich noch genau daran – als er 8 Jahre alt war – wie ein Freund Skizzen von Graffiti-Schriftzügen in die Schule mitbrachte, die er mit Filzstiften auf Papier gemalt hatte. In seiner Stadt, in seinem Viertel, war die Hip-Hop-Bewegung sehr präsent, und Blazej begann, die Außenbezirke, die „Grauzonen“ zu erforschen und entdeckte viele Graffiti pieces. Er verzichtete in seiner Freizeit auf Sport oder Computerspiele und begann im Jahr 2000 mit 12 Jahren, selbst Graffiti Writing zu praktizieren. Am Anfang sprühte er den Namen seiner Kiez-Crew, erkundete die Gegend und knüpfte Kontakte zur Szene. Mit 14 wurde er das erste Mal verhaftet und seine Eltern warfen alles weg, was er bis dahin im Zusammenhang mit Style Writing gemacht hatte. Er sprühte weiter seine Namen und den seiner Crew und ließ sich dabei von verschiedenen Writern inspirieren, darunter auch von einigen Legenden seiner Stadt. Aber auch das Internet war eine große Inspirationsquelle für Blazej und er lernte so die deutsche, schwedische und tschechische Graffiti-Szene kennen. Nachdem er sechs Jahre lang Lettering praktiziert hatte, wurde er 2006 dessen überdrüssig und wusste, dass er etwas anderes malen konnte. 2008 ging die Plattform Streetfiles online und war ein Wendepunkt. Blazej schätzte diese Plattform sehr und kam mit vielen Leuten aus ganz Europa in Kontakt, die im Laufe der Jahre Freunde wurden. New York Graffiti habe ihn nie wirklich fasziniert, sagt er. Was ihm an diesen westeuropäischen Styles gefiel, war das hochwertige Handwerk, die osteuropäischen konzeptionellen Ansätze und die schmutzigen experimentellen Malereien.



Reisen und Kunsterziehung

Ab 2006 wollte Blazej reisen und fuhr nach Paris, hungrig nach bildender Kunst, besuchte Museen wie das Musée d’Orsay, den Louvre, Versailles und im Loire-Tal eine Leonardo da Vinci-Sammlung in Chambord. Die Figuren von da Vinci beeindruckten ihn nachhaltig. Zurück zu Hause reflektierte er all diese Eindrücke und fragte sich, was neben Graffiti der prägendste visuelle Einfluss in seiner frühen Kindheit war. Da er in einer orthodoxen und katholischen Familie aufwuchs, erinnerte er sich an die orthodoxen Kunstwerke in den Kirchen. An diesen Orten war man von visuellen Schätzen umgeben, sagt er heute, fast überwältigt von dem visuellen Impakt, mit intensiven Farben, wie Gold, Blau, Rot, Grün, voller Ikonenmalerei in der byzantinischen Tradition. Diese Ikonenbilder faszinieren Blazej bis heute. Ab 2006 fing er an, Figuren zu malen, hauptsächlich auf Wände. In Anlehnung an die Ikonenmalerei, malte er menschliche Figuren, Gesichter mit einer bestimmten Form der Augen, die er mit einer Outline versah, und versuchte, Graffiti mit traditioneller Ikonenmalerei zu vereinen, freihändig und ausdrucksstark mit puren Farben aus der Dose. Nach dem Gymnasium absolvierte er einen zweijährigen Kurs für akademisches Zeichnen, malte dort intensiv 6 Monate lang und wurde Assistent in diesem Atelier. Damals fertigte er hauptsächlich Porträts. 2009 begann er ein Grafikdesign-Studium an der Technischen Universität in Bialystok, das er 2011 mit einem BA abschloss. In dieser Zeit, fing Blazej an Vorträge und Workshops über Theorie und Praxis der Straßenmalerei mit dem Schwerpunkt Post-Graffiti an Universitäten zu halten, eine Tätigkeit, die er weiterhin ausübt.



Müde von Porträt- und figurativer Malerei, schaffte er eine Serie abstrakter Gemälde auf Holz, mit Asphalt und Säure, als BA-Diplom im Jahr 2010. Diese abstrakten Arbeiten stehen für seine definitive Abkehr von der figurativen Malerei. 2011 wechselte Blazej an die Universität der Künste Poznan (UAP), um sich schließlich auf Malerei zu spezialisieren. Dort experimentierte er mit Abstraktion und führte viele Farbexperimente durch, allerdings weiterhin hauptsächlich auf Wänden. Die Universität vermittelte ihm das Material und Werkzeug, um vor allem im konzeptionellen Bereich zu arbeiten, aber Blazej konzentrierte sich stur auf die Malerei und das Zeichnen. Neben seinen praktischen Studien interessierte er sich für Kunstgeschichte und Literatur. Die Landschaftsmalerei der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte es ihm angetan, insbesondere die Werke polnisch-ukrainischer Maler wie von Julian Falat, Jan Stanislawski und Leon Wycozòlkowski. Bewegungen wie der Impressionismus und der Expressionismus interessierten ihn ebenso wie die moderne Kunst, speziell die Nachkriegskunst. Er las auch theoretische Bücher von Kandinsky wie „Spiritualität in der Kunst“ und „Punkt und Linie zu Fläche“, die ihn sehr beeindruckten. Außerdem bewundert er die Werke polnischer abstrakter Maler wie die von Piotr Potworowski, Stanislaw Fijalkowski und Leon Tarasewicz.



Nach seinem Studium, verspürte Blazej den Drang zu reisen und besuchte viele Länder, circa 20, wie er heute erzählt. Er wohnte 2013 sechs Monate lang in Berlin und ging dann in die Ukraine, die er bereits 2010 besucht hatte, wo er die Macher des Black Circle Festivals kennenlernte. 2013 schloss er sich dem Festivalteam an, um das Festival mitzuorganisieren, lernte die ukrainische Sprache und zog 2015 in die Karpaten, in die Stadt Uzhgorod, wo er drei Jahre lang lebte und arbeitete. Auf der Suche nach seinen Wurzeln – denn sein Nachname stammt aus dieser Region – genoss er dort neben der Kultur und den Menschen vor allem die wilde Natur. Doch dann zog es ihn zurück nach Poznan, Polen, wo er heute weiterhin lebt und arbeitet.

Zwischen 2010 und 2015 malte er hauptsächlich auf Wände an verlassenen Orten und auf Güterzüge. Seine damals neuen abstrakten Arbeiten zeigen verschiedene Experimente mit einem eher konzeptionellen und minimalistischen Ansatz. Manchmal rahmt er seine abstrakten Bilder, manchmal lässt er die Komposition, die Farbe ohne Rahmen frei verlaufen. Einige Wandmalereien ähneln in ihrer horizontalen Form eher einem Piece, andere übernehmen Muster der umgebenden Farbigkeit und Strukturen, Elemente der wuchernden Natur oder Teile der verlassenen Architektur. Die Farbe füllt ganze Flächen und manche Malereien werden somit in gewisser Hinsicht integrativer Teil der alten Gemäuer.



Malprozesse auf Wand

Die Praxis des Graffiti Writings hat Blazej Rusin’s künstlerische Entwicklung beeinflusst und tut es fortwährend. Er hat daraus Selbstdisziplin gelernt, monumentale Größen von zu bemalenden Flächen beeindrucken ihn nicht, und er konzentriert sich weiterhin auf die Malerei selbst und orientiert sich nicht an der Kunstwelt, seiner Aussage nach. Heute malt er weiterhin draußen auf Wände und auf Leinwände in seinem Atelier. Für seine Wandmalereien verwendet er Acryl, Pinsel, Rollen, Pumpen und Sprühlack. Dose setzt er immer weniger ein, er war eh nie ein großer Fan davon, sagt er. Für seine Arbeiten im Freien fertigt er nie eine Skizze an, denn er hat eine ganze Bibliothek von Skizzen in seinem Kopf gespeichert. Im Laufe der Jahre hat Rusin Tausende Skizzen angefertigt, durchnummeriert und in seinem Atelier in Kisten ordentlich archiviert. Manchmal fertigt er im Voraus eine Skizze für eine in Auftrag gegebene Wandmalerei an, doch eigentlich arbeitet er freestyle. Für ihn ist das Zeichnen und Skizzieren das prädestinierte Medium, um emotionale und intellektuelle Werte spontan auf Papier festzuhalten, eine Art Innenschau. Es ist wie ein Tagebuch, in dem er persönliche Themen verarbeiten und künstlerische Ideen entwickeln kann. Seine meisten Skizzen werden spontan mit Stiften angefertigt und sind hauptsächlich einfarbig. Auch für seine Wandmalerei spielt das Spontane, die Improvisation noch immer eine große Rolle. Inspiriert von dem Ort, an dem er malen will, von Elementen der Umgebung, wie Pflanzen, Texturen, der Architektur usw., komponiert er frei, um einen Dialog mit dem Ort zu schaffen. Nur seine Kamera hilft ihm manchmal dabei, mit dem Maßstab umzugehen oder das Gleichgewicht der Komposition zu überprüfen, indem er ein gespiegeltes Bild der Arbeit betrachtet. Er beginnt ein Werk spontan, indem er die drei Grundfarben aufträgt und sie dann mischt, um 9, 20 oder mehr chromatische Töne und Nuancen zu erhalten, die er wie ein Dirigent in verschiedenen Formen orchestriert, sagt er. Auf diese Weise ist eine exekutive Berechnung involviert, um die chromatische Harmonie zu kontrollieren.



Farbe ist das Hauptanliegen seiner Malerei. Allerdings malt er auch gerne in Schwarz-Weiß, monochromatisch oder in Grautönen, um mehr mit den Linien und Formen zu arbeiten. Aber nach dem Studium von Farbtheorien, seiner Ausbildung, seinen Inspirationen und seiner 20-jährigen Erfahrung in der Malerei, zeigen uns Blazej Rusin’s Werke heute vor allem farbenfrohe Kompositionen mit sich frei entfaltenden organischen Formen, oft mit einigen reinen Farbfeldern über verschiedenen Nuancen, mit Farbpunktuierungen, vibrierend und kraftvoll in ihrem Verhältnis zueinander. In einigen seiner Werke scheint die Farbe eine größere Bedeutung zu haben, symbolisch und spirituell, vielleicht in Anlehnung an den orthodoxenIkonen. Farbe ist ein Beweis für seinen Glauben an die Malerei, sagt er. Sein Spitzname, den ihm ein enger Freund gegeben hat, „der slawische Zauberer“, steht in gewisser Weise für seine spirituelle Herangehensweise und zauberhaften Farbigkeiten seiner Malerei. Und auch wenn Blazej ungegenständliche Formen verwendet und organische, lebhafte, in sich verwachsene abstrakte Werke schafft, sagt er, dass einige Menschen immer noch Buchstaben in ihnen finden können. Inspiriert vom Graffiti Writing seiner Jugend und der Ikonenmalerei seiner Kindheit, besteht die Verbindung zwischen beiden darin, dass Ikonen von einem Kanon, einem Skript, geleitet werden, die Geschichten zusammenfügen, sie sind in gewisser Weise auch geschrieben, so Blazej.
Neben der Weiterentwicklung seiner Bildsprache arbeitet der Maler auch an der Rahmung seiner Wandarbeiten. Seit einigen Jahren versucht er, den Rahmen zu sprengen, um das Gemälde und den Ort noch besser in einer Malerei zu vereinen. Durch Verwischung, Auflösen der Farbe an den Rändern oder andere Methoden, die er noch erforscht, erreicht er die gewollte Wirkung.



Schaffen in seinen Ateliers

Neben seiner regelmäßigen Praxis der Wandmalerei arbeitet der polnischer Maler hauptsächlich in seinen beiden Atelierräumen in Polen. Das eine ist sauber, dort hat er alles, sein Archiv, alle Materialien zum Zeichnen und Malen, in einer ruhigen Umgebung in der Altstadt von Poznan. Sein anderes Atelier, das „schmutzige Atelier“, wie er es nennt, befindet sich in einem Haus im Wald in der Nähe eines Sees, ohne Strom und Heizung, und dies mit Absicht. Denn dort kann er an einem kalten, ungemütlichen Ort arbeiten, mitten in der Natur, wo das Außen durch die Fenster nach Innen scheint. Hier findet Blazej ähnliche Bedingungen vor wie an verlassenen Orten, er malt auf großen Leinwänden wie an Wänden, umgeben von Natur, mitten im Nirgendwo. Die Herausforderung besteht darin, schnell zu arbeiten und sich nur drei Malsessions für die Fertigstellung einer Leinwand zu geben. Dieser Ansatz gibt ihm das Gefühl, draußen in der Waldatmosphäre zu sein und auch wie dort nur begrenzte Stunden tagsüber malen zu können. Die Leinwand hängt an seiner schmutzigen Atelierwand voller Farbschichten, deren Substanz fast an eine Hall of fame erinnert. Der Boden ist grün. Es ist sein Kompromiss für Graffiti, sagt er.

In seinem sauberen Atelier arbeitet er anders, mit viel mehr Zeit. Die Impulse kommen hier nur von ihm selbst, nicht von der Umgebung. Seine im Atelier entstandenen Leinwände sind ausgefeilter, weiterentwickelt, es ist ein Ort für eine echte Konfrontation mit einem Bild, laut ihm, mit mehr Zeit zum Betrachten und Nachdenken. Dort arbeitet er mit Acryl, Öl, Wachsmalstiften, Tusche, Gouache, Aquarellfarben und Kohle. Er bevorzugt Leinwände mit mindestens 2 m Seitenlänge, seine größte Leinwand ist 270 cm x 465 cm groß. Diese Formate sind der Abdruck von Graffiti-Großformaten, laut ihm. Mit diesen Formaten schafft er in seinen Arbeitsräumen zwei differente Arten von Leinwänden: Die erste Art sind weiße Leinwände, bei der er wie üblich mit den drei Grundfarben beginnt und seine Malerei sich von dort aus weiterentwickelt. Die zweite Art wurde nach einem Mural Up Cycling-Projekt entwickelt. Seit 2018 installiert Blazej mehrere ungespannte Leinwände an einer großen Wand an einem verlassenen Ort und malt eine große Wandmalerei auch über die Leinwandstücke. Anschließend nimmt er die bemalten Leinwände mit und lässt leere Felder in der Wandmalerei zurück. Im Atelier zerschneidet er diese bemalten Leinwände in Stücke, näht sie in verschiedenen Assemblagen zusammen und das Ergebnis liefert dann den Hintergrund für eine neue Arbeit. An der Wand aufgehängt, hat die „Patchwork-Leinwand“ eine gewisse Dynamik, die Blazej Ideen für eine Komposition liefert. Dann fügt er Zeichnungen aus seinem Archiv über den gesamten Hintergrund hinzu, um neue lineare Kompositionen entstehen zu lassen, die ihm einen Kontext, eine Erzählung für den Beginn des Auftrags seiner Farben in verschiedenen Formen geben. In gewisser Weise, sagt er, fügt er mit diesem Verfahren Geschichten zusammen, die er in seine Bildsprache überträgt, Erzählungen, die letztlich aus Lebenserfahrungen stammen. „Wie auch aus der Natur, aus der das Leben kommt“, fügt Blazej hinzu, „mein Ziel ist es, durch die Kunst Geschichten und Werte zu vermitteln.“

Rusin arbeitet immer wieder mit anderen Künstlern zusammen, ob in seinem sauberen Atelier oder auch im Ausland. Die Zusammenarbeit bei Wandgemälden ist eine Praxis, die der polnische Künstler seit dem Graffiti Writing innehat und nach wie vor im Freien praktiziert. In seinem Atelier lädt er jedoch klassische Maler zur Zusammenarbeit auf einer großen Leinwand ein. Da diese so eine Praxis überhaupt nicht gewöhnt sind, stellt die Arbeit mit klassischen Malern, um gemeinsam ein Bild schaffen, eine besondere Herausforderung dar. Dieser Akt des Schaffens ohne im Voraus festgelegte Regeln erfordert vor allem eins: die gute Kommunikation zwischen den Malern, so Rusin.

Seit über 10 Jahren verbindet Blazej Rusin seine Graffiti-Erfahrung und seine akademische Malerei-Ausildung auf unterschiedliche Weise in seiner abstrakten Bildsprache. Er malt bis heute im Freien, auf dem Land, und verwandelt Wände mit Acrylfarbe, ein Genre der Malerei – die Post-Graffiti-Wandmalerei-, die er als eine Form der Landschaftsmalerei betrachtet. Auch bemalte Züge sind für ihn Landschaftsbilder in Bewegung in gewisser Weise. Und um diese temporären Gemälde draußen, in ihrer Umgebung einzufangen, um eine Spur dieses Akts der Malerei im Freien zu haben, und diese Kunstwerke mit zu archivieren, benutzt Blazej das Objektiv seiner Kamera, die nur den aktuellen Zustand der Malerei in situ in diesem Moment festhält. Letztendlich, sagt er, ist die Fotografie der endgültige Besitzer einer Wandmalerei.


https://www.instagram.com/blazejrusin/


Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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