Nachruf zur TRANSGRESSIVE
Gruppenausstellung TRANSGRESSIVE- Nonkonforme Zugänge zu Kunst und Stadt, 14.09. bis 25.09.2022 im Kühlhaus Berlin
Mit Akim, Clemens Behr, Ulrike Bernard, Boris D94, Rafaella Braga, Thomas Bratzke, Markus Butkereit, DIAMONDS, Brad Downey, Larissa Fassler, Anna Fiedler, Carolin Genz, Jürgen Große, Marie Grunwald, Vincent Grunwald, Guerilla Architects, Alice Hauck & Laila Wiens, Anna Herms, Wilhelm Klotzek, Fabian Knecht, Van Bo Le-Mentzel, Jeewi Lee, Mischa Leinkauf, Markus Mai, Thomas Marecki, Kadir Amigo Memis, Adrian Nabi, Jana Sophia Nolle, Pigenius Cave, POLIGONAL, Katya Quel, Thomias L. Radin, Susi Rosenbohm, Sandra Rummler, Christian Schellenberger, Gabi Schillig, Osif Seiksuh, Diana Sirianni, Ronny Sonnenberg, Studio Alibi, Birgit Szepanski, The WA, Katharina Trudzinski, Aylin Yildirim Tschoepe, Raul Walch, Daniel Weissbach, Eric Winkler, Jazoo Yang
Ein Interview mit dem Kurator Lukas Feireiss
Die thematische Ausstellung Transgressive, die Du im Kühlhaus Berlin kuratiert hast und vom HKF gefördert wurde, fand zur Berlin Art Week statt und war bei der Eröffnung sehr gut besucht. Weißt du wie viele BesucherInnen insgesamt gekommen sind?
Ja, genau. Das Interesse war enorm. Mich hat dabei besonders die Mischung des Publikums gefreut, die ein ziemlich realistischer Querschnitt durch unsere Gesellschaft repräsentierte. Hier traf alles aufeinander. Ganz unterschiedliche Generation – von Familien mit Kindern, Jugendlichen und Studierenden, bis hin zu neugierigen Senioren. Die internationale Kunst- und Architekturszene war ebenso vertreten wie die lokale Graffitiszene. Menschen, die normalerweise nicht unbedingt auf denselben Veranstaltung sind. Wir hatten sogar nur 8 Tage für das Publikum offen. In dieser kurzen Zeit haben wir über 6.000 Besucher*innen gezählt.
Kannst du uns erzählen wie und wann die Idee dazu entstanden ist und wie sich das Projekt entwickelt oder gar verändert hat bis zum Aufbau?
Die Idee für die Ausstellung begleitete mich schon seit langer Zeit. Anfangs lag mein Fokus ausschließlich auf der Auseinandersetzung mit einer Generation von Berliner Künstler*innen, die in den frühen 2000er Jahren durch ihre klandestinen Arbeiten im öffentlichen Raum das Stadtbild Berlins maßgeblich geprägt haben. Also Künstler*innen, die ursprünglich aus der urbanen Praxis des Graffiti kommend, sich mittlerweile aber im Feld der etablierten bildenden Kunst, Architektur und Fotografie positioniert haben. Im Laufe der weiteren Entwicklung der Ausstellung hat sich aber mein Untersuchungsfeld enorm erweitert – auf ganz verschiedene transgressive Praktiken in der gebauten Umwelt Berlins, die nicht mehr unbedingt im Graffiti Ihren Ursprung finden.
TRANSGRESSIVE widmete sich unterschiedlichsten Positionen zeitgenössischer internationaler Kulturschaffender aus Berlin, die sich durch einen grenzüberschreitenden Zugang zu Kunst und Stadt auszeichnen. Was verstehst du unter grenzüberschreitenden Zugang zu Kunst?
Gemein ist allen Teilnehmenden – egal ob sie nun aus bildender Kunst, Architektur, Fotografie, Film oder Anthropologie kommen – dass sie in ihrer Arbeitsweise konsequent bestehende disziplinäre und stadträumliche Grenzen infrage stellen: zwischen öffentlich und privat, autorisiert und unautorisiert, legal und illegal, high- und low-culture.
Allen Teilnehmenden ist dabei ein selbstbestimmter und subversiver Umgang mit Stadtraum gemein. Von Graffiti bis Cruising und queeren Räumen innerhalb der Stadt, von temporären Architekturen bis zu Formen von sozialem Aktivismus finden viele der hier gezeigten Arbeiten ihren Ursprung in oftmals unautorisierten und teils sogar illegalen urbanen Praktiken. Was ist hier mit queeren Räumen gemeint?
Damit ist zum Beispiel das von dem Berliner Büro für Stadtvermittlung POLIGONAL initiierte Projekt Queering Common Space Archive gemeint. Ein lebendiges Archiv, das die Freuden und Kämpfe der Queerness aufzeichnet und die Räume feiert, die sie hervorbringen – in Abgrenzung zur gesellschaftliche Cisgender-Heteronormativität. Hier zählt jede Erzählung, Begegnung, Erfahrung, Widerstandsform oder performative Aktion zählt – ob klein oder groß, alltäglich oder außergewöhnlich.
Die teilnehmenden Akteur*innen aus bildender und darstellender Kunst, Architektur und Stadtforschung präsentieren – in so unterschiedlichen Medien wie Malerei, Collage, Skulptur, Installation, Film, Fotografie und Performance – vielfältige Spielarten anti-disziplinärer Stadtraumerschließung. Sie alle gehen in ihrem kreativen Schaffensprozess enge Verbindungen mit der Stadt ein, und lassen die Stadt dabei als Ausgangspunkt ihrer Werke erscheinen. Wie viele TeilnehmerInnen waren es insgesamt?
Begonnen habe ich mit einem guten Dutzend. Zum Schluss waren es jedoch 48 unterschiedliche Positionen, die in der Ausstellung vertreten sind. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden sind gebürtige Berliner*innen aus Ost und West – was mittlerweile eine echte Einzigartigkeit ist – aber alle zumindest in Berlin lebend. Dieser Berlin-Bezug war mir ganz wichtig.
Wie bist Du bei der Auswahl und der Werkauswahl vorgegangen?
Für mich ist der kuratorische Prozess stets eine Mischung aus Planung und Zufall. Wie auch in allen meinen anderen Projekten – seien es nun Ausstellungen, Symposien, Lehrveranstaltungen, Publikationen oder was auch immer – beginnt der Prozess zuallererst mit meinem persönlichen Interesse an einer Thematik. Dann beginnt die Recherche. Im nächsten Schritt suche ich das Gespräch mit unterschiedlichsten Leuten und so erweitert sich kontinuierlich der Radius der Bezugspunkte. So war das auch mit dieser Ausstellung. Darüber hinaus ist TRANSGRESSIVE aber auch ein sehr persönliches Projekt für mich, da ich selbst in den 1990er Jahren in der Berliner Graffiti Szene aktiv war, und mein Schaffen bis heute auf ganz unterschiedliche Weise durch diese künstlerische Auseinandersetzung mit öffentlichem Raum geprägt ist. Einige der Teilnehmenden kenne ich seit fast dreißig Jahren, andere habe ich erst im Rahmen der Ausstellung kennengelernt.
Für die Werkauswahl habe ich schon eine Idee und Wunsch im Vorfeld, entscheide es aber am Ende immer im Gespräch mit den Künstler*innen. Ich habe mich mit allen mehrmals getroffen. Auch vor Ort haben wir gemeinsam den richtigen Platz für die Arbeiten ausgesucht. Es ist mir ganz wichtig, die Ausstellungsentwicklung als einen gemeinsamen Prozess zu verstehen, an dem die Teilnehmenden auch teilhaben.
Fehlten Dir bestimmte Positionen, die Du gerne dabei gehabt hättest?
Ich bin zufrieden mit der Ausstellung genau so wie sie zusammen gekommen ist. Natürlich fehlt aber immer irgendetwas. Hier auch. Aber das ist auch gut so. Sonst hätte man ja nichts mehr in der Zukunft zu tun.
Was ist mit anti-disiziplinäre Stadtraumerschließung gemeint?
Mit „anti-disziplinär“ meine ich einerseits einen selbstbestimmten Umgang mit unserer gebauten Umwelt, der nicht in eine traditionelle Disziplin passt bzw. sich außerhalb der Grenzen traditioneller Disziplinen bewegt. Mit „anti-diszipliniert“ meine ich aber zudem eine undisziplinierte und disziplinlose, bestehende Regeln und Normen in Frage stellende Herangehensweise.
Die gezeigte Video-Arbeit von Brad Downey z.B. war sehr überraschend. Brad Downey hat sich ja so viel mit dem Stadtraum auseinandergesetzt und diesen bespielt und hier wurde eine Arbeit gezeigt, die sich mit Land Art befasst. Warum diese Wahl?
Ja, das stimmt wohl. Zugleich zählt das von Dir erwähnte und im Rahmen der Ausstellung erstmals präsentierte Werk von Brad Downey wohl zu den explizit transgressivsten der Ausstellung. In der Filminstallation Seeds, Mud, Wood, Plastic, Salt Crystals, Kerosene, Rocks, Water überschreitet Downey nämlich nicht nur künstlerische Grenzen sondern ganz buchstäblich die Grenzen eines Kunstwerks. Wir werden hier Zeuge, wie er – mit denen im Titel der Arbeit genannten Materialien – ganz konkret in ein existierendes Kunstwerk eingreift: der Spiral Jetty, einer 460 Meter langen Erdskulptur, die 1970 vom amerikanischen Bildhauer Robert Smithson am Ufer des Great Salt Lake in Utah, USA errichtet wurde und wohl zu dem berühmtesten Werken der Land Art überhaupt zählt.
Kannst du uns erzählen wie das Symposium TRANSGRESSIVE APPROACHES IN ART AND ACADEMIA gelaufen ist, welche die Schwerpunkte waren, was am interessantesten diskutiert wurde und was für dich dabei herauskam?
Da ich selbst seit zwei Jahrzehnten leidenschaftlich in der Lehre an Universitäten im In- und Ausland tätig bin und seit letztem Jahr eine Gastprofessur für transdisziplinäre künstlerische Lehre an der Universität der Künste Berlin innehabe, war es mir sehr wichtig, durch das Symposium die inhaltliche Vertiefung und Erweiterung der in der Ausstellung vertretenen Perspektiven zu ermöglichen und nonkonforme Formate der künstlerischen und wissenschaftlichen Lehre zu erforschen. Mit dabei waren ganz unterschiedliche Ansätze an der Schnittstellen von Kunst, Architektur, Design und Ethnografie. Allesamt disziplinübergreifende Versuche methodische Ansätze, theoretische Konzepte und kreative Forschungsmethoden zu verbinden, um der Komplexität unserer globalen Realität gerecht zu werden.
Und wie war die GEDENKFEIER/MEMORIAL: THE ART OF MEMORIAL: TOD UND VERGÄNGLICHKEIT IN DER GRAFFITI KULTUR? Warum diese Feier in diesem Rahmen und woraus bestand das Programm genau?
Die von Adrian Nabi und Kulturelle Erben e.V. organisierte Gedenkfeier war ebenso wie das Symposium Teil eines umfangreichen Rahmenprogramms von Vorträgen, Diskussionen und Performances welches die Ausstellung zu einem Ort der Teilnahme und Reflexion, der Widersprüche und Spannungsfelder gemacht hat. Es gab auch unter dem Namen WRITER’S CORNER eine Buchmesse, die den teilnehmenden Künstler*innen und Berliner Kleinverlagen ermöglichte, ihre Bücher, Kataloge, Editionen, Magazine und Zines vorzustellen und das Publizieren als künstlerische Praxis zu etablieren. Die besagte Gedenkveranstaltung widmete sich aber dem Vermächtnis verstorbener Berliner Graffiti Sprüher – insbesondere ROSE, RUZD79, ODEM und TAGNO – und leitete die Entwicklung eines globalen Archivs mündlich überlieferter Geschichten von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ein. Im Rahmen der Veranstaltung wurden verschiedene Reden gehalten, altes Archivmaterial gesichtet, neue Filme gezeigt, und eine musikalisch-tänzerische Performance aufgeführt. Es war ein ganz besonderer Tag.
Wenn Du diese Ausstellung nochmal machen würdest, was würdest Du anders machen?
Ich hätte gerne eine längere Laufzeit geplant und ein Budget für einen begleitenden Katalog beantragt.
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