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SRGER in Spanien: Vom Graffiti Writing zur lyrischen Abstraktion

, by Katia Hermann

Graffiti-Entdeckung in der näheren Umgebung

SRGER, alias Sergio Gomez, wurde 1983 in Sevilla, im Süden Spaniens, geboren. Er wuchs in Pino Montano auf, einem Viertel am Rande von Sevilla. Als er 12 Jahre alt war, entdeckte er Graffiti. In seiner Nachbarschaft tauchten viele Tags auf, und er war sofort von dem Phänomen fasziniert und neugierig. Zusammen mit seinen Jugendfreunden beschloss er, mit Markern anzufangen zu taggen, da sie anfangs nicht genug Geld für Dosen aufbringen konnten. Etwas später, im Jahr 1996, begann er, Sprühdosen zu kaufen und mit seinen Crew-Mitgliedern auf der Straße und an verlassenen Orten zu sprühen. Damals begann seine Besessenheit von der Malerei, sagt SRGER heute. Sein erster Name war DRAGON, später änderte er seinen Namen mehrmals in: SHIP-NOCK-HAK-SRG-SEG-GER. Anfangs malte er gerne verschiedene Buchstaben, um schließlich bis heute SRGER zu verwenden, eine Zusammenführung seiner letzten beiden Pseudonyme. Damals war er Teil der Tapas-Crew, und sie malten, wo immer sie konnten, immer an Wänden, und ohne Rücksicht auf den Ort. In der Anfangsphase inspirierten ihn viele Writer in seiner eigenen Stadt wie z.B. SCIEN und KLOR, CES Fx und DARE-RESO-ECB.

Ab 2000 nahm alles eine Wendung, neue Formen von Graffiti tauchten weltweit auf und inspirierten den jungen spanischen Writer, der viele internationale Writer online entdeckte und besonders von den Arbeiten von Vino y Blue, HONET, SDK-WUFC und Viagrafik beeindruckt war. Von Anfang an gefiel SRGER die Bewegung und Ausdruckskraft, die Buchstaben inne hatten. Er begann, sie mit dem Gestischen in Verbindung zu bringen. Später erkannte er, dass sie eigentlich wie abstrakte Formen betrachtet werden können, die Klänge darstellen können und die sich miteinander verbinden.



Graffiti Writing führte zu anderen Kunstformen

Von 1999 bis 2001 entschied sich SRGER für ein Studium der bildenden Künste an der Kunstschule von Sevilla und wurde anschließend zum Web- und Grafikdesigner ausgebildet. Während dieser Jahre an der Kunstschule studierte er auch Kunstgeschichte und entdeckte die moderne Malerei. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit arbeitete er allein und mit anderen Writern im Freien und probierte neue Formen und neue Schriftzüge aus. Grafikdesign beeinflusste ihn hier nachhaltig, was die Gestaltung von Raum, Kompositionen und Farben angeht. Das brachte ihn ebenfalls dazu, Typografien auf eine andere Art wahrzunehmen.
In den folgenden Jahren begann er, seine Kunst getrennt zu betrachten . Es war ihm klar, dass ein Teil seiner Arbeit darin bestand, Graffiti in seiner Umgebung oder in anderen Städten zu malen, und der andere Teil widmete sich Kunstwerken, die im Atelier entstanden. SRGER erklärt: „Beides beeinflusst sich gegenseitig, es wäre unmöglich, wenn es nicht so wäre. Damals, Anfang 2000, war ich mehr daran interessiert, über Kunst zu lesen, Kunsträume zu besuchen und Kunstwerke zeitgenössischer Künstler zu entdecken. Ich widmete mich auch dem Grafikdesign, und ich glaube, das hat meine Malerei beeinflusst. Ich begann, den Wänden mehr Aufmerksamkeit zu schenken und dem, was ich diesen Räumen bieten konnte, indem ich bei jedem neuen Projekt mit der Architektur spielte.“

Ab 2012 begann SRGER, Werke ohne lesbare Buchstaben zu schaffen und nur einige einfache, unvollkommene geometrische Formen, Spuren von Sprühfarbe, Kritzeleien, Punkte und Linien zu malen, die er an Wänden an verlassenen Orten hinterließ. Simpel, sichtbar spontan ausgeführt und nur mit reinen Grundfarben sowie Schwarz und Weiß gemalt, waren diese Werke minimalistisch. Farbige Formen und gestische Spuren wurden in einer luftigen, lockeren Komposition ohne Hintergrund an verschiedenen Stellen einer Wand platziert und spielten mit den umgebenden Elementen. Die Textur der Wand, Strukturen oder Formen architektonischer Elemente wie Türen oder Fenster wurden für die Malerei in situ berücksichtigt. Vertikale oder horizontale Linien, bestimmte Proportionen, Spuren an den Wänden usw. bestimmten den genauen Standort für SRGERs Arbeiten damals und beeinflussten die Wahl seiner gemalten Formen und Linien. In einer spielerisch einfachen Bildsprache waren seine Arbeiten zu dieser Zeit wie eine Intervention in situ. „In dieser Zeit begann ich, nur Gelb, Rot, Blau, Schwarz und Weiß zu verwenden. Später fing ich an, die Werke etwas unbewusst zu rahmen, vielleicht um ihnen mehr Gewicht zu verleihen und um mir ein Format vorzustellen“, erklärt SRGER heute.



Er schaffte unsichtbare oder sichtbare rechteckige Rahmen für seine Wandgemälde, wie panoramische Leinwandformate an der Wand. Mit reinen Primärfarben füllen seine Kompositionen dieser Zeit den gesamten imaginären Rahmen mit vielen Farbfeldern und Linien aus, wobei er manchmal auch leere Flächen des Hintergrunds in die Gesamtkomposition einbezieht. Das Format, die Technik und einige gesprühten gestische Linienzeichnungen erinnern an Graffiti-Arbeiten. Doch auf formaler Ebene erinnern seine Kompositionen dieser Zeit und sein lebendiger Farbgebrauch an abstrakte Werke moderner Maler wie z.B. Kandinsky, Klee oder Mirò. SRGER verwendet spielerisch verschiedene Farben, wobei er manchmal Farbnuancen der Umgebung des verlassenen Geländes aufgreift. Einige seiner Formen der verschiedenen Felder in einem Werk scheinen den Formen von Gegenständen zu entsprechen, die im Raum herumliegen. Daher passen sich seine Werke an Ort und Stelle ihrer Umgebung an – zumindest ein wenig – und fügen dem Raum Stimmung und eine neue Betrachtungsweise hinzu.



Neben der Architektur, in der er malt, findet SRGER viele Inspirationsquellen auf der Straße: „Ich denke, ich lasse mich vor allem von den kleinen Dingen inspirieren, die ich im öffentlichen Raum tagtäglich finde. Ich neige dazu, viele Fotos draußen zu machen, diese kleinen Zufälle in den Straßen, Verbindungen von Objekten und Formen sind sehr inspirierend für mich, sowohl in der Komposition als auch in der Farbe. Dies ist in jedem Moment präsent.“ Die Fotografie ist ein wichtiges Werkzeug für den Künstler. Seine Beziehung zur Fotografie ist rein dokumentarisch, er begann zu fotografieren, um seine Arbeiten und Prozesse zu dokumentieren. Und das vermittelte Bild seiner Arbeiten, ob im Außen-oder Innenraum, ist die fotografische Abbildung davon.



Post Graffiti/Lyrische Abstraktion/Action Painting

In späteren Arbeiten treibt SRGER den gestischen Aspekt seiner Arbeit weiter voran, indem er spontan und dynamisch gezogene Linien, die an Gekritzel mit einem schwarzen Stift erinnern, grafische Elemente, in seine Kompositionen großformatig einbezieht. Einnehmende Linien verdecken teilweise die farbigen Felder oder bilden ein organisiertes Liniengewirr, das dem Ganzen Dynamik und Bewegung verleiht. Die Linien erinnern an Handschrift und die farbigen Felder werden teils zum Hintergrund, Linien und farbige Formen vermischen sich auf einer neuen Ebene und lassen die Grenzen verschwimmen. 2020 malte SRGER seine erste Wandmalerei, die fast nur aus großflächigen schwarzen kritzeligen Linien bestand. Für ihn ist es eine Möglichkeit, den ganzen Körper für gestische Malerei einzusetzen: „Das ist etwas, das ich von meinen Leinwänden auf einen viel größeren Maßstab übertragen habe. Vielleicht ist es eine Möglichkeit, noch mehr zu synthetisieren…“. Zur Verwendung von schwarzen Linien fügt er hinzu: „Ich glaube, das hat sich einfach so ergeben. Früher war die Farbe Schwarz nur anekdotisch, aber jetzt ist sie ein wichtiger Bestandteil jeder Arbeit. Ich versuche immer, sie als letztes zu verwenden, denn mit dieser Farbe übe ich diese Gesten und Bewegungen aus.

Diese Linien und ihre gestische, impulsive Dynamik erinnern an manche Werke des Informel, des Tachismus und der lyrischen Abstraktion. Viele dieser Werke stellen eine Niederschrift psychomotorischer Energien dar, die eine Spannung zwischen Farbe und Linie aufbauen. Und das ist es, was SRGER in seinen Werken und besonders in seinen Wandarbeiten der letzten Jahre schafft. Geleitet von Intuition, Spontaneität und der impulsiven Geste, besteht die materielle visuelle Komponente der Werke nur aus Farbe und Linien. Der Künstler lässt seine Eindrücke, seine Emotionen, seine unbewusste kreative Aktivität auf jeder Malfläche aus, durch Farbfelder sowie durch dynamische Linien, die im Moment des Malaktes spontan geformt werden. Das Malen dieser abstrakten Bilder kann als eine Art geistige Improvisation betrachtet werden. SRGER verwendet in seinen Werken Tupfer, rechteckige Farbfelder, spontane Striche und Linien, zeichnerische Elemente und kalligrafische Gesten. Als eine Form der gestischen Malerei und der expressionistischen ungegenständlichen Kunst werden, ähnlich wie bei der Lyrischen Abstraktion, spontane Improvisationen und direkt künstlerisch umgesetzte Empfindungen anstelle der konstruktiven und streng geometrischen Elemente der Abstrakten Malerei verwendet. Unter Berufung auf die Bedeutung des Prozesshaften, einem konstanten Element in seinem Werk, fügt der Künstler der Bildoberfläche gewissermaßen die Schicht der vierten Dimension hinzu: die Zeitlichkeit. Die Anwendung von sich auflösenden Materialien auf die ursprüngliche Komposition fördert die Veränderung, die Transformation und erzeugt eine neue Komposition, die versucht, sich jeder Kontrolle zu entziehen. Die Mutation kann als ein Anfang und ein Ende gesehen werden, wie eine unendliche Erzählung.



SRGER versucht immer, frei von repräsentativen Ideen zu bleiben und seiner Kunst eine eigene Realität zu gewähren. Und an einer Wand in einer bestimmten Umgebung fügt das Kunstwerk in situ sich und auch dem Ort eine weitere Realitätsebene hinzu und verwandelt ihn auf eine aufdringliche, aber poetische Weise. Die Kraft und Schönheit eines lyrischen, abstrakten Gemäldes wird auf eine Wand übertragen, in einen leeren Raum, die als Leinwand dient. Manche Merkmale der Malerei von SRGER sind auch im Action Painting verwurzelt. Geleitet von seinen Beobachtungen und seiner Intuition, beziehen sich seine Werke auf eine unmittelbare und dynamische Maltechnik, die er auch in einigen seiner Studioarbeiten anwendet. Seine Werke spielen mit der Unvollkommenheit und Vergänglichkeit, die Teil ihrer Identität sind und hinterfragen den fertigen und unfertigen Zustand eines Kunstwerks, der als notwendige Bedingung festgelegt ist, ebenso wie den Prozess des malerischen Akts. Neben seiner bedeutenden Atelierpraxis ist es für den Künstler nach wie vor wichtig, nach draußen zu gehen, um zu malen und auch mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten und sich auszutauschen. In den letzten Jahren hat er mehrmals mit ROSH 333 im Freien gemalt, und sie haben einen wahren bildnerischen Dialog entwickelt, so SRGER.



Atelierarbeiten: „Versuche und Irrtümer“

Ein bedeutender Teil von SRGERs künstlerischer Praxis findet in seinem Atelier statt. Mit Sprühlack, Acryl-, Wachs- und Kunststofffarben auf Papier und Leinwand schafft er Studioarbeiten für den Innenraum, wie auch Installationen und Wandmalereien in situ. Der spanische Künstler entwickelt seine Bildsprache hier auf anderen Formaten und mit anderen Techniken weiter. Über die Beziehung zwischen seinen Arbeiten im Freien und in Innenräumen erklärt er: „Ich denke, dass das eine vom anderen inspiriert ist, aber natürlich sind die Formate und Werkzeuge unterschiedlich. Das ist etwas, was ich mich von Zeit zu Zeit frage. Im Atelier wird meine Malerei vorsichtiger und manchmal minimalistischer. Draußen habe ich jedoch das Gefühl, dass ich freier und explosiver bin“. Seine Arbeit im Atelier ist kontinuierlich, beschreibt er, er konzentriert sich immer auf eine bestimmte Idee oder arbeitet für ein bestimmtes Projekt, so dass seine Bilder ein Ende haben. SRGERs bildnerische Forschung ist nach wie vor offen und basiert auf Beobachtung, Suche und Schaffen: „Ich versuche ständig zu experimentieren, ich glaube, dass „Versuche und Irrtümer“ für meine Art, Dinge zu tun, unerlässlich ist.“
Dem Künstler gefällt die Idee der unendlichen Variationen, das Spiel mit dem Fertigen und dem Unfertigen, mit Unvollkommenheiten, Widersprüchen und Kontrasten, und vor allem das Schaffen von herausfordernden bildnerischen Spannungen in der Malerei, die eine besondere Energie und Kraft enthalten.


instagram.com/srger
srger.com

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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