Skip to main content

Der Franzose GREKY: Vom Bombing zur gestischen Malerei

, by Katia Hermann

Bewegte Jugend in der Grande Banlieue von Paris und Provinz

Der Franzose GREKY wurde 1984 in Vitry-sur-Seine (94) bei Paris geboren und zog als Kind häufig im Ballungsraum von Paris mit seinen Eltern um. Es war in Athis-Mons in der Essonne (91), wo er 1999 den Style Writer BOZE und TAMIZ kennenlernte und selber anfing Graffiti zu sprühen. Damals malte er REOZ und ZEO und hinterließ im Simple Style Throw ups und Tags im Stadtraum. Er tagte zusätzlich VAL wie seine Mitstreiter im niedriger gelegene Teil der hügeligen Stadt Athis-Mons, denn Val steht im französischen als Abkürzung für Vallée, das Tal. Somit markierten alle Writer in dieser Gegend ihr Territorium mit VAL. Großen Einfluss hatte damals auch der Writer ERKO/ERCO der CP5-Crew. GREKY lernte den kleinen Bruder von MIST kennen, mit dem er sich anfreundete und war oft bei ihnen zu Hause. Dort bewunderte er die Leinwände, T-Shirts und Skulpturen von dem damals jungen MIST. Auch die Pieces des Parisers SEB der FMK crew und die Bombings von YACE prägten GREKY nachhaltig.



2001 zog GREKY nach Nevers, in die Provinz. Auch dort gab es schon Graffiti Writer und er lernte den Style Writer RWICK kennen. Die Styles in der Provinz im ruralen Umfeld waren jedoch anders und gaben GREKY neue Impulse. Zu Anfang malte er auch dort noch ZEO bis 2005, wollte aber ab 2001 mit neuen Buchstaben arbeiten und erfand seinen heutigen Namen IGREK. IGREK, YGREK steht hier als Wortlaut für das Ypsilon auf Französisch „i grec“. Er variierte mal mit I mal mit Y als Anfangsbuchstaben oder schrieb seinen Namen im Verlan (Slang, bei dem Wortsilben getrennt und andersrum zusammengesetzt werden, um neue Wörter und Wortlaute zu bilden). Aus Y-GREK wurde dann GREK-I, um daraus wiederum KI-GRÉ zu bilden und heute den Namen GREKY.



Das Spiel mit der französischen Sprache ist neben seiner Leidenschaft für Graffiti auch in GREKY’s Texten und Rap-Songs zu finden. Schon jung fing er an zu Rappen und Texte zu verfassen, eine weitere künstlerische Disziplin aus der Hip Hop-Kultur, die er heute ebenfalls weiterhin praktiziert. Mehrere Songs und ein Album sind daraus entstanden. Die Texte sind teils gesellschaftskritisch, humoristisch, spielerisch und poetisch und sein Flow sehr dynamisch.

Durch viele Begegnungen in der Szene kam es zum regen Austausch für GREKY. Durch die Beobachtung von Graffiti an verschiedenen Orten und vor allem durch die Kultur des Machens auf der Straße wurde GREKY nachhaltig geprägt und beeinflusst. Die Styles waren überall etwas anders, ob in Paris oder der entfernten Banlieue, wo er lebte, wie in Vitry-sur-Seine, Choisy-le-Roi, Orly, Bourges und rundum der Provinz um Nevers. Sie hatten alle bestimmte Charakteristika und der rurale Raum forderte zudem ein Umdenken bei GREKY für Styles und die Platzierungen von Pieces. Von 2008 bis ca 2012 malte er zusätzlich ein neues Pseudonym, PAPOT. Der Name ist eine Ableitung von dem französischen Verb „papoter“, das Quatschen bedeutet. GREKY wollte mal wieder mit neuen Buchstaben spielerisch malen und war es Leid, dass viele Leute aus der Szene immer nur quatschten, anstatt zu machen, und entschied sich dieses Phantom-Pseudonym eine Weile lang zu sprühen. Im Jahr 2011 trat er als GREKY dann in der im Umland von Nevers, Orléans und Tours aktiven crew PX bei (Provinciox, Planet X) mit den Mitgliedern RWICK, KIDEF, HOFS, Les Gens, La Fleuj, PASTEK, ROYA, OVALE, J.KEUZ, LEMAT and RATUR. Einige Jahre später, in 2020, zog GREKY für ein Jahr nach Toulon, um sich dann aber in Vannes, in der Bretagne endgültig niederzulassen, wo er heute weiterhin lebt und arbeitet.



Style-Weiterentwicklung

Durch die vielen Umzüge, neuen Wohnorten mit diversen Graffiti Styles im Umfeld und neuen Begegnungen wurde GREKY angeregt Graffiti immer wieder neu zu überdenken, sich mental und visuell damit auseinanderzusetzen, um eine neue Bildsprache für sich zu reflektieren. An einem gewissen Zeitpunkt war ihm das vorherrschende Ego-Spiel in der Szene auch lästig und er wollte sich immer mehr vom konventionellem Style Writing lösen. Er malte zu der Zeit immer wieder in Zyklen mit Pausen dazwischen und entwickelte neue Formen. Doch die Basis, wie das Tag und die schnelle Throw up -Technik, das Bombing, und dessen Energie, ist bis heute in seinen abstrakten Arbeiten zu spüren. Nicht nur das schnelle, dynamische gestische Arbeiten mit ganzem Körpereinsatz, sondern auch das Verwenden von nur ein oder zwei Farben, wie Chrom und Schwarz, sind heute in seiner künstlerischen Praxis weiterhin extrem wichtig. Die Schlichtheit der Farben und Reduzierung der Palette fordern gerade die Linienführung, den Strich, so heraus, dass er sitzen muss. Zu viele Farben lenken laut GREKY nur ab und haben manchmal ein Feuerwerkseffekt, den er nicht mag, weil es ein Piece eher unleserlich macht und von der Essenz der Linien ablenkt. Zudem arbeitet GREKY immer ohne Skizze, er besitzt kein Black Book, und auch wenn er mal eine Idee auf Papier zeichnet, ist sie nur temporär und äußerst selten. Neben der Sprühdose verwendet er seit 2008 auch Acrylfarben und Rollen zum Streichen und betont wie wichtig und was für ein tolles Gefühl es ist mit der Rolle direkt die Wand zu spüren. Es gibt einen Widerstand, ermöglicht das Erfassen und Fühlen der Wandstruktur, des Werkzeugs, ein Hantieren, das mit Sprühdosen nicht möglich, nicht zu fühlen ist.



Ab 2016 findet bei GREKY’s Arbeit ein wichtiger stilistischer Wandel statt. In dieser Zeit malte er eine Serie von Pieces und Wandmalereien mit abgerundeten Formen. Sein i und der Punkt entwickelte sich in eine Bubble Style Form, die ihn einlud alle Formen der Buchstaben abzurunden und zu verfremden. Er verwendete damals auch nur ein bis zwei Farben, die er gerade zur Verfügung hatte. Nach dieser Phase fing er eine neue Serie mit dem neuen Pseudonym „25ème“ an, die er bis heute weiterführt. Der Name ist die Anspielung auf die 25. Stelle des Ypsilons in unserem Alphabet. Das Y ist der Buchstabe, der in seinem Nachnamen in der Mitte sitzt. GREKY empfindet das Y als ausbalanciert, Gleichgewicht bringend: „Als Kleinbuchstaben verläuft er nach unten und bringt eine gewisse Dynamik mit sich im Wort. Der Buchstabe Y hat eine majestätische Seite, finde ich. Es wird inthronisiert. Es ist autark, wie eine Stelze, es steht aufrecht, ohne jede Stütze.“



In dieser Serie „25ème“ verlässt GREKY die Farbe und konzentriert sich auf schwarz-weiß. Die Buchstaben sind noch teils lesbar, doch sie verformen sich mehr und mehr zu puren Formen, manchmal mit unabhängigen Balken quer im Bild, aber vor allem mit immer mehr dynamischeren Zügen. Die Serie steht für eine Übergangsphase zu seinen heutigen abstrakten Arbeiten, um sich nach und nach von den Buchstabenformen zu lösen und sich dank der Verwendung von nur einer Farbe Schwarz auf die spontan-gestische Linienführung zu konzentrieren. Somit werden lebendige und instinktive dunkle Linien erzeugt und durch die Nutzung von dem zusätzlichen Weiß ein starker Kontrast geschaffen.



Das Spontane und Freie in der heutigen Praxis

Heute arbeitet der autodidaktische Künstler abwechselnd an der Wand oder in seinem Atelier. Mit nur einer vagen Idee eines Gleichgewichts von Formen arbeitet er spontan und im Moment. Er stützt sich hierbei auch auf die Serendipität. Der Begriff Serendipität, gelegentlich auch Serendipity-Prinzip oder Serendipitätsprinzip, bezeichnet eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht gesuchtem, das sich als neue, überraschende Entdeckung erweist. Ähnlich, aber nicht identisch ist die Redewendung vom glücklichen Zufall. Serendipität betont eine darüber hinausgehende Untersuchungstätigkeit, eine intelligente Schlussfolgerung oder Findigkeit. Und genau damit arbeitet GREKY heute. Durch gefundene Objekte oder Zufälle und Unfälle während des Malprozesses kommen neue Ideen, die er dann aufgreift und weiter ausreizt. Durch Zufall entdeckte er z.B. den Wischmopp als Malwerkzeug, um damit großflächig zu malen, den er heute sowohl an der Wand sowie auf Leinwand oder Stoff einsetzt. Mit dem Sprühlack Silberchrom z.B., die Farbe, die die Beschaffenheit hat alles zu decken, egal welche Farbe der Hintergrund oder die Wand hat, malte er auf schwarzen Stoff wodurch eine besondere Textur und kontrastvoller Effekt in sinnlichen abstrakten Werken mündete.



Der Künstler arbeitet meist an mehreren Arbeiten im Atelier gleichzeitig. Mit einer wagen Idee im Vorfeld malt er spontan und zügig auf dem Boden liegenden großformatigen Leinwänden oder Stoffen. Durch den Körpereinsatz und das Malen um die Leinwand herum entsteht in seinen Augen eine Art Tanz, Choreographie um das Werk herum. Mit dem Rhythmus der Gesten, den körperlichen Bewegungen um die Leinwand herum und das spontane Arbeiten, liegt seine Arbeit im Action Painting verankert und nahe der Performance. Genau diesen Ansatz vermittelt er auch als Workshopleiter an Jugendliche und Erwachsene in seinen Workshops zur abstrakten Malerei und teilt somit die positive und befreiende Erfahrung des Action Painting’s.

GREKY’s abstrakte Arbeiten der letzten Jahre sind ursprünglich vor allem im Graffiti Writing verankert, weisen aber starke Bezüge zur lyrischen Abstraktion, zur gestischen Abstraktion und zum Informel aus. Als exzessive Form des Malens von ihm heute beschrieben, steckt er vor allem Emotion in diesen Malprozess. Hochkonzentriert lässt er sich sowohl von Instinkt als auch von Zufall führen, jeder spontane schnell entstandene Strich, und somit ist jede Form nicht korrigierbar und somit augenblicklich endgültig.



Für das Schaffen von kleinformatigen Serien im Rahmen von Ausstellungen, malte er auf großformatige Leinwände, die er dann im Nachhinein zerstückelte. Jeder Anfang einer neuen Serie beschreibt er als großen Anreiz, die er dann konstant und in einem Zuge zu Ende führt. Nach diesen intensiven Schaffensphasen auf Leinwand im Atelier verspürt er dann aber wieder den Drang im Freien an der Wand zu malen, um dort noch freier und für das Temporäre zu malen, und um wiederum neue Inspiration für die Atelierarbeiten zu schöpfen. GREKY ist der Meinung, dass er sich durch das Graffiti Writing emanzipiert hat und teils freier arbeitet als manche bildende KünstlerInnen. Heutzutage verlieren junge Künstler leider oft das Handwerk, das Savoir-faire, das Zeit braucht, um zu reifen, sagt GREKY, und doch findet er diese schnelllebige Zeit, in der wir leben, äußerst interessant, weil auch im Graffiti-Bereich an der Schnittstelle zur zeitgenössischen Malerei viel geschaffen wird und immer wieder Innovation stattfindet.



instagram.com/greky_insta
stephanegreky.com

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

vier × 5 =