TICK on the track – Berlin Graffiti since the 90s.
Er gehört schon lange dazu. Seit über 20 Jahren zählt er zu dem internen Kreis Berlins aktivster Graffitiwriter. In dieser langen Konstante von über zwei Jahrzehnten schöpfte TICK seine Energie aus dem unermesslichen Reservoir seines kreativen Potentials, gepaart mit dem Drang nach – Action! Die Rastlosigkeit, die Langeweile der Wiederholung weckt auch heute noch Tag täglich in ihm die Entschlossenheit, die Grenzen des Graffiti für sich neu zu setzen, ohne jedoch die ungeschriebenen Gesetze der Szene zu verletzen.
Seit Mitte der 90er Jahre spricht TICK die Sprache der Straße.
Streetbombing und Rooftoppieces unter verschiedenen Pseudonymen – heute zum Beispiel noch als „Under Kover“ – „UK“ in Alt-Tempelhof zu finden, dominierten lange TICKS künstlerisches Schaffen.
Bis heute weder gecrosst noch übermalt sind vor allem seine Gerüstpieces, wie zB. am Bundesplatz von 1998. Der Style versetzt auch heute noch jeden Passanten direkt zurück in die 90er Jahre und ist wahrscheinlich deswegen vom Hausbesitzer stehen gelassen worden.
Riesige Bahnhofbombings, wie sie um die 2000er Jahre am S-Bahnhof Schöneberg entstanden waren, Streetpieces unter dem Pseudonym DAK unter der S-Bahn Brücke am Tempelhofer Damm oder Rathaus Schöneberg prägen bis heute maßgeblich das Berliner Stadtbild.
Im Alleingang
Die künstlerische Tragweite von TICK zeigt sich in erster Linie in der Ausdauer, mit der er seit Jahrzehnten durch Größe, Qualität und Langlebigkeit überzeugt. Nach wie vor gehört er zu der zweiten oder gar dritten Generation von Oldschoolern, die sich im Gegensatz zu vielen Graffitikarrieren in Berlin, im Alleingang am wohlsten fühlen.
Ab 1997 war TICK „penetrant“ im Trainwriting aktiv. Unter den unterschiedlichsten Pseudonymen und Tag-Namen malte er ganze Wholetrains alleine aus, was ihm bis dato einen Legendenstatus in der Berliner Graffiti Szene eingebracht hat. Die überdimensionalen Bombings und Panels auf S-Bahnen und U-Bahnen der Hauptstadt zeugen von leidenschaftlicher Hartnäckigkeit – diese eine bestimmte Stelle, diese U-Bahn Strecke für einen bevorzugt langen! Zeitraum zu bespielen. Die lange Vorarbeit, die in jeder dieser Aktionen steckt – das nächtelange auschecken der Stelle, der BVG Sicherheitsvorkehrungen, als auch das „Revierverhalten“ anderer Crews bilden die Grundlage für sein künstlerisches Schaffen in der Szene.
„SUCKMYDICKMYNAMEISTICK“ ist einer der bekanntesten Doppel End2End, der 2003 auf dem Berliner S-Bahn-Ring entstanden ist. Bis vor kurzem konnte man den Doppel E2E, das im ersten Augenblick auf einer Regionalbahn gemalt zu sein scheint, auch als Sticker im Graffitiboxshop erhalten. Einheimische, Writer oder aber auch S-Bahn Enthusiasten erkennen jedoch sofort, dass die vermeintliche Regionalbahn vielmehr die ehemalige DDR S-Ringbahn in den Farben Grau und Rot ist, Baureihe 485 – ein Stück Zeitgeschichte! Erst 2002 – 12 Jahre nach dem Mauerfall wurden diese zu Bordeauxrot und Ockergelb umlackiert, um den gesamten Berliner S-Bahn Verkehr zu vereinheitlichen – so wie wir ihn heute kennen.
Neue Interpretationen und andere Materialien
TICKs Style hat an Wiedererkennungswert nicht verloren und auch wenn er sich, wie er sagt, vieles hart erarbeiten musste, stechen seine Pieces durch ungewöhnliche Farbkombinationen und Materialexperimente heraus. Begriffe, wie Stylewriting haben für ihn in Zeiten von Antistyle an Relevanz nicht verloren, die er jedoch seit Anfang der 2000er Jahre stilistisch neu zu interpretieren versucht.
Durch neue Materialien, dadurch bedingt auch ungewöhnliche Präsentationsorte und ihre eigeninszenierte Kuration schafft TICK sich täglich neue Herausforderungen und bewegt sich damit weit abseits von Kommerzialisierung. Es ist einerseits beinahe schade, dass die Aufmerksamkeit für ihn als Writer nicht seiner Erfahrung und seiner Ausdauer entsprechend international anerkannt wird, andererseits gehört er gerade deswegen zu den Berliner Urgesteinen und ist heute noch einer der ersten Ansprechpartner für junge, unerfahrene Trainwriter.
Seit 2003 befasst sich TICK zusätzlich mit Leinwänden, Skulpturen und Installationen, die er vorwiegend illegal im öffentlichen Raum platziert. Seit 2008 erweiterte er sein Oeuvre durch plastisches Lettering, das Buchstaben aus Holzbalken, Speckstein, Backstein oder Styropor entstehen ließ. 2017 entwickelte TICK eine eigene Technik zur Betonbuchstabenherstellung, die sich vor allem an die örtlichen Begebenheiten im öffentlichen Verkehr anpasst. S-Bahnstrecken, die über keine Wände verfügten und daher logischerweise nur über wenige bemalbare Oberflächen verfügen, waren der Grund für vergleichbare Installationen.
Anfänglich waren es reine Betonbuchstaben in unterschiedlichen klassischen Graffitistyles, die TICK im Laufe der Zeit mit gläsernen Letters umhüllt hat. Aufwendig war auch die Installation der Figuren, die an der Waagerechten positioniert, viel Gewicht trugen und nur durch Einbetonierung ihre Langlebigkeit bewahren können.
„Vorsicht spießiger Nachbar“
Die Installationen auf der S-Bahn Station Julius-Leber-Brücke beschäftigten TICK für einen langen Zeitraum. Seine zwischen die Gleise integrierten Betonbuchstaben versah der Künstler mit Pflanzen, die auch regelmäßig gegossen werden mussten.
Die folgenden Wochen und eine beinah tägliche Observierung der Station zeigte leider ziemlich schnell, dass die Blumen in den einbetonierten Blumentöpfen dem Fahrtwind nicht lange standhalten werden. Doch so schnell gab TICK nicht auf und passte seine grüne Oase im Bahnhof den Gegebenheiten an.
Pflanzen und Blumenformen arrangiert aus Malerresten, Pinseln, Farbeimern, Restdosen und Müll spiegeln den Charme und die Liebe wider, die TICK in jede seiner Installationen hineinsteckt. Einbetoniert auf das T des TIK ist darüber hinaus eine Miniaturlandschaft in Form eines Vorstadtvorgartens – signiert mit der Facebookadresse des Künstlers und einem gebastelten Schild „Vorsicht kuscheliger Hund“ / „Vorsicht spießiger Nachbar“ .
Thematische Schwerpunkte, Gimmicks und Spielereien, wie Verbindungen von unterschiedlichen Materialien, Licht oder auch die Verortung der Installationen unterstreichen die Letters in ihrem wandelbaren Dasein, spiegeln aber auch gleichzeitig die unterschiedlichen persönlichen Interessen des Künstlers wider.
Experimentierfreude
Es sind beispielsweise nicht einfach nur 200 LEDs, die um mehrere Betonbuchstaben herumgewickelt die gesamte Installation beleuchteten. Vielmehr sind es LEDs, die über eine eigens verbaute Fotozelle gespeist, erst im Dunkeln anfangen zu leuchten – lange bevor man sich vergleichbare Lichterketten im Supermarkt für wenig Geld kaufen konnte. Diese Leidenschaft für technische Spielereien verschafften ihm bereits eine Einladung zur Messe des CCC – Chaos Computer Clubs ein, in der er seine Fortschritte in der Verbindung von Graffiti und Technik präsentieren konnte.
Seine Experimentierfreude zeigt sich vor allem in der Nutzung der Materialien. Das ständig fehlende Geld, verbunden mit dem unerschöpflichen Enthusiasmus für die Umsetzung eigener Ideen, zwang TICK schon immer zu einer ständigen Bereitschaft seine Kreativität auf neuen Wegen auszuleben.
Abwasserrohre, die er in einen TIK Schriftzug über einem TICK Piece, sowie umgeben von zwei an die Wand befestigten S-Bahn Waggons zusammengeschweißt an der S1 Bahnhof Feuerbachstraße installiert hat, ist eines dieser Beispiele. Auch die Luftballons auf dem U Bahnhof Tempelhof können zu diesen Experimenten hinzugezählt werden.
Immer öfter integriert TICK ganze Miniatur U-Bahn-Waggons in die Ausgestaltung seiner Installationen, die heute zum Beispiel noch am Bahnhof Schöneberg zu begutachten sind. In einer früheren Installation zeigte der Künstler idyllische Landschaften samt Häusern, Schornsteinrauch und Wolken, die ihre Welt in Gläsernen TICK Buchstaben entfalten konnten.
Besonders die letzten Installationen von TICK zeigen deutlich eine künstlerische Weiterentwicklung, die das Genre Graffiti – seine Machbarkeit und Bedeutung hinterfragt. Die Spiegelinstallation auf dem Bahnhof Ullsteinstraße der U6 beschäftigt sich darüber hinaus mit dem aktuell politischen Thema Naturschutz, das anhand eines hochstilisierten Motivs jedem zugänglich gemacht werden soll.
Die aus Spiegelscherben zusammengesetzte Baumkrone – in dem sich der Betrachter spiegelt, wird von einer mit Sprühdose nur angedeuteten Rückenfigur abgesägt. Jeder von uns könnte diese Schattengestalt sein, die sich als Spiegelbild und gleichzeitig als ein Teil der Welt im Weltenbaum verstehen will. „Wir sägen die Welt ab!“ Das ist das was der Betrachter sehen soll – das was er nicht weiß, ist der Ursprung der Scherben und verwendeten Materialien. Beinahe pedantisch sammelte TICK über Jahre hinweg Scherben von Spiegeln verschiedener BVG Häuschen und BVG Toiletten, die er erst Jahre später an dieser Wand zusammenfügte.
Innovativ ist vor allem seine neueste Installation auf dem U-Bahnhof Klosterstraße. Sie zeigt einen in Beton gegossenen, geöffneten Mund aus dem eine U-Bahn herauszufahren scheint. Es ist eine der ersten Installationen im öffentlichen Raum mit einem integrierten Display, sowie einer Videoinstallation, die hinter der Frontscheibe der herausragenden U-Bahn integriert ist. Sie ist nicht nur illegal angebracht, sie zeigt darüber hinaus eine eigens aufgenommene Aktionen und Installationen an den Berliner Bahnhöfen.
„Die Intention in meinen Arbeiten liegt unter anderem auch in der ständigen Weiterentwicklung, Neuerfindung, Aktion und Provokation. Das ständige Produzieren an Pieces, Panels, aber vor allem die langwierige Vorbereitungszeit für die Installationen bleiben mein wichtigster Antrieb.“
Das Besondere an TICK ist seine Neugierde Neues zu erschaffen – etwas was es noch nicht gab, was noch nicht so gemalt wurde oder an dieser bestimmten Stelle. Immer wieder distanziert er sich von Kommerzialisierungsidealen und bleibt sich dabei immer selbst treu. Er möchte nicht zu den sogenannten „Hollywoodmalern“ gehören – wie TICK Künstler bezeichnet, die ihre Technik perfektionieren, aber manchmal auch ihre Offenheit für das Genre Graffiti verlieren. Graffiti ist und bleibt für TICK eine Lebenseinstellung – die er wie kaum ein Anderer zu leben weiß.
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