MOMO: Frische Farbe
Abends. 19 Uhr. Geldernstraße.
Es ist Donnerstag, ein lauer Frühlingsabend. Die letzten Sonnenstrahlen blitzen gerade noch über die Brücke der Geldernstraße und tauchen die Bilder der dortigen Hall of Fame in ein besonders farbenfrohes Licht. Für einen Tag wie diesen ist es auffällig ruhig. Nur zwei Künstler sind am Malen: MOMO und seine Freundin SKLA. Um sie herum tobt der Durchgangsverkehr: Autos, quietschende Straßenbahnen, Fahrradfahrer, Fußgänger – doch auch in dieser Ecke Kölns ist die Corona-bedingte Ruhe deutlich spürbar. Irgendwie angenehm. Die beiden Künstler wirken konzentriert, aber trotzdem den vorbeilaufenden Passanten zugewandt. „Also ich glaub, ich bin heute bestimmt schon sechzig Mal angesprochen worden“, so MOMO. Der Künstler ist gerade dabei, eine Schlange fertigzustellen, welche sich filigran um seinen Schriftzug windet. Schritt für Schritt. Schuppe für Schuppe. Schon hier tritt seine Akribie und seine technische Versiertheit zu Tage. „Ich mal grundsätzlich aus dem Kopf. Bei der Schlange hab ich mir zwei, drei Bilder angeschaut, vor allem was die Farben angeht und die Schuppen. Den Rest bau ich mir dann selbst zusammen und adaptier das aus dem Kopf“, erklärt der Künstler.
Graffiti und Skateboard fahren
MOMO wurde 1978 geboren und stammt ursprünglich aus Marburg. Mit 13 Jahren hat er mit Graffiti angefangen. Im Prinzip hat er über Freunde und Bekannte Kontakt in die Szene gefunden, wobei Skateboard fahren und Graffiti für ihn damals eng miteinander verbunden waren. Heute, fast 30 Jahre später, bestreitet MOMO mit dem Malen seinen Lebensunterhalt. Auch wenn sich dies wie ein ziemlich geradliniger Lebenslauf liest, war der Weg dorthin durchaus mit einigen Hürden und persönlichen wie künstlerischen Herausforderungen verbunden.
Abstraktion, Expressivität und Bildspannung
Schaut man sich MOMOs Arbeiten an, fällt sofort auf: Sie sind anders als vieles, was man gemeinhin unter dem Schlagwort Graffiti verbucht. Blockbuster-Schriftzüge, klar erkennbare, geradlinige Buchstaben mit dicken Outlines etc., all das hat er hinter sich gelassen – auch wenn seine Ursprünge genau in eben jene Richtung verweisen. Doch MOMO hat sich weiterentwickelt. Seine Arbeiten zeichnen sich mittlerweile durch ein hohes Maß an Abstraktion aus und können als klare Weiterentwicklung des klassischen Stylewriting gesehen werden.
Dennoch arbeitet auch MOMO mit Buchstaben. Mit Buchstaben, bei denen er die Grenzen der Abstraktion immer neu auslotet und den Bereich des Gegenständlichen nur noch sublim streift. Wie im Graffiti oftmals üblich, steht keinesfalls die Lesbarkeit seines Schriftzuges im Vordergrund, – M. O. M. O. –, sondern vielmehr bilden Expressivität und bildinhärente Dynamik den Fokus seiner Kunstpraktik. Seine Arbeiten sind charakterisiert durch ein hohes Maß an Bildspannung auf und sprengen den Rahmen natürlicher Sehgewohnheiten. Unterstützt wird dieser Eindruck durch verschiedene 3D-Effekte. „Ich mal jetzt seit fast 27 Jahren, dementsprechend seh ich mich halt auch ein bisschen in der Pflicht das Ganze weiterzuentwickeln. Und das Feedback, das ich aus der Szene bekomme, bestätigt das auch in gewisser Weise. Das ist natürlich eine schöne Sache und daran merk ich auch, dass ich da gerade etwas richtig mache und dass es gerade in die richtige Richtung geht“, so der Künstler.
Proportionen, Farbverhältnisse und knallige Farben
Seine Buchstaben speisen sich vorwiegend aus Farbübergängen oder verschiedenen, miteinander in Verbindung stehenden Farbflächen, uni-farbene Fill-ins hingegen sind eine Seltenheit. MOMO expliziert: „Auf die Wand gesehen, muss man die Farbverhältnisse gleichsetzten. Wenn du da keine grafische Einteilung hast und keinen vernünftigen farblichen Durchlauf, passt am Ende nichts.“ Gestützt werden seine Buchstaben oftmals von einer filigranen, fragil erscheinenden Linie, die sich ihren Weg über die Wand zu suchen scheint, gezogen mit Sprühdose und Needle Cap – messerscharf. „Es gibt Leute in der Szene, die nennen mich Skalpell, weil ich halt sehr sauber malen kann, wie mit dem Skalpell gezogen“, so MOMO. Als grafisches Element fungierend, fügt jene Linie seinen Arbeiten eine weitere Ebene hinzu und verbindet die einzelnen Elemente zu einem harmonischen Ganzen. Besonders ausdrucksstark erscheint dies jedoch, wenn sie die vertikale Wand verlässt und in die Horizontale ausgreift. Die Farbwahl hingegen ergibt sich ganz spontan. „Das passiert ganz intuitiv. In letzter Zeit mal in gern mit knalligen Farben, damit es vom Effekt her richtig ballert, z.B. wenn dann die Sonne rauskommt oder so. Aber grundsätzlich mal ich eigentlich gern mit Streichfarben und setz dann im Kontrast nur noch ein bisschen Farbe drauf“, erzählt MOMO.
Wer jetzt aber trotzdem – oder immer noch – glaubt, MOMOs Arbeiten entstehen rein intuitiv, hat weit gefehlt. Denn der Künstler überlässt nur wenig dem Zufall, tariert Proportionen und Farbzusammenhänge akribisch aus und achtet auf viele Details. „Ich überleg total viel beim Malen. Ich achte zum Beispiel immer darauf ‚wo ist die Sprühkante, wo nebelt das aus, was für ein Cap ist drauf, wie halt ich die Dose, etc.‘. Klar, kann ich auch einfach an eine Wand gehen und sprühen, aber ich kann auch auf solche Dinge achten und dadurch dann irgendwann wirkliche High-End-Geschichten erzielen. Und ich fänd‘s halt cool, einfach alles zu können. Ich will scheiße malen können, aber ich will auch high end malen können. Und wenn ich das zusammen kombiniere, dann hab ich meinen eigenen Style“, so MOMO. MOMO wirkt technisch versiert, durchaus selbstkritisch, kann aber trotzdem über sich lachen: „Ich bin mit nichts zufrieden! Ich bin voll der Nörgler. Echt, ich bin so ein Nörgler [lacht].“
Permanente Weiterentwicklung oder: Mut zum Experiment
Vor diesem Hintergrund scheint es kaum verwunderlich, dass keine Arbeit der anderen gleicht. Vielmehr ist MOMO ausdrücklich daran gelegen, immer einen Schritt weiter zu gehen, neue Dinge auszuprobieren, zu experimentieren und zu lernen – denn nur so entwickelt man sich weiter. „Natürlich sind da immer wieder verwandte Formen mit dabei, aber ich versuch grundsätzlich schon, immer was Anderes zu malen. Genauer gesagt: Ich fühl mich dazu verpflichtet; ich fühl mich wirklich dazu verpflichtet. Das ist mein Anspruch, irgendwie immer was Neues zu machen. Das ist schon fast ein bisschen wie ein Zwang [lacht].“ Diese Aussage legt offen, dass MOMO der Prozess des Malens mindestens genauso wichtig ist wie das fertige Bild. Gleichzeitig betont er, immer auch die Umgebung mit im Auge zu behalten und sich die Wandfläche genau anzuschauen, die er malt – denn „jede Wand hat seine eigene Energie.“
Kein absoluter Selbstläufer oder: mit offenen Augen durch die Welt
Doch natürlich ist dies kein absoluter Selbstläufer. Es gibt durchaus Vorbilder, die MOMO inspiriert haben und dies bis heute tun. Magic aus Düsseldorf zum Beispiel, der schon früh damit begonnen hat, Buchstaben komplett zu deformieren. Oder andere Graffiti-Künstler, die mit Dreidimensionalität und Spezialeffekten experimentieren. Ebenfalls genannt werden der Wiesbadener Graffiti Artist Beat sowie die New Yorker und Dortmunder Graffiti-Szene. Darüber hinaus benennt MOMO auch kunsthistorische Vorbilder wie Jean-Michel Basquiat, Keith Haring, Gustav Klimt und Jackson Pollock sowie andere Abstraktmaler und Kunstszenen, denen er auf Instagram folgt. „Also allein, um mal andere Ideen zu sehen, andere Formen und Farbzusammensetzungen, dafür finde ich das sehr bereichernd. Wenn ich da nur beim Graffiti bleiben würde, würde ich irgendwann abstumpfen. Die Graffitiszene ist halt schon auch irgendwie eine recht taub-stumme Szene, die sich nicht wirklich öffnet. Wenn man da mal etwas ganz anderes macht, bekommt man oft Gegenwind. Doch momentan genieß ich’s einfach, in einem gewissen Flow zu sein, viele verschiedene Sachen zu sehen, aufzusaugen, in meinem Kopf abzuspeichern und in irgendeiner Form wieder an die Wand zu bringen.“
Freie Malereien, Auftragsarbeiten und Leinwände
MOMO malt fast ausschließlich legale Flächen. Dazu zählen Hall of Fames, großformatige Fassaden (Murals), hin und wieder hinterlässt er seine Arbeiten jedoch auch in einer stillgelegten Fabrik oder einem verlassenen Gebäude. Einen weiteren, wichtigen Part in seinem künstlerischen Repertoire nehmen Auftragsarbeiten sowie Leinwände ein, die er in kleineren Galerien ausstellt oder übers Internet verkauft. Auch im Begleitprogramm der documenta wurden seine Arbeiten bereits gezeigt.
Dennoch bleibt ihm die Autonomie wichtig. Er möchte weg von dem starren Korsett klassischer Auftragsarbeiten und kennt auch motivisch seine Grenzen: keine Waffen, keine sexuellen Themen, nichts Politisches. „Ich will einfach frei denken und Farben und Formen so ineinander bringen, dass es kunstvoll aussieht. Ich bin jetzt auch nicht derjenige, der Klopapierrollen an die Wand malt. Ich möchte nicht zu sehr in das ‚Jetzt‘ eintauchen, künstlerisch gesehen, sondern immer nur so gerade dran vorbeischrammen. Aber trotzdem weiterkommen. Von daher ist es für mich auf jeden Fall wichtig, nicht zu sehr politisch zu sein und nicht zu sehr in irgendeine Richtung abzudriften.“
Köln, kreative Vielfalt und Open-Mindedness
Köln ist für MOMO mittlerweile zum Lebensmittelpunkt geworden – auch wenn es ein wenig gedauert hat, mit der Rheinmetropole warm zu werden. „Also ich muss sagen, ich bin nach Köln gekommen und wollte eigentlich nie nach Köln. Mittlerweile bin ich fast 9 Jahre hier und ich finde Köln sehr geil, sehr kreativ. Es gibt eine sehr große Bandbreite an Künstlern: Graffiti-Künstler, Street Art-Künstler, Sticker Artists, alle möglichen Leute, die hier Kunst machen, visuell tätig sind. Das Schöne daran ist, dass jeder versucht, irgendwie auch was anderes zu machen und dadurch hat man eine sehr große Vielfalt. Es gibt hier viele Leute, die wirklich talentiert sind“, so MOMO. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn Kölner Künstler im Stadtbild auch (mehr) repräsentiert wären, denn schließlich tragen diese zur Identität der Stadt bei. Dafür bräuchte es mehr (legale) Flächen – sowie ein wenig Verhandlungsgeschick und guten Willen.
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