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L’OUTSIDER – Typographische Abstraktion

, by Katia Hermann

Graffiti Writing als Katalysator

Yann Leber aka L’Outsider wurde in der Bretagne geboren, wo er nach einigen Jahren Aufenthalt in Paris wieder lebt und arbeitet. Mit 17 Jahren entdeckt er Graffiti Writing und seine Leidenschaft für Buchstaben. Für sein Studium an der École Boule (Hochschule für Kunsthandwerk und angewandte Kunst) zog er nach Paris, wo er weitere Graffiti-Künstler traf und sie gemeinsam die Crew namens FD bildeten. L’Outsider war von Anfang an begeistert von der Freiheit und der Energie, die diese Praxis im urbanen Raum mit sich brachte. Denn die Situationen für die Produktion nicht autorisierter Malerei, die eine faszinierende Spannung zwischen Risikobereitschaft, Dringlichkeit und Beherrschung der Geste für die Realisierung eines Kunstwerks erzeugen, bedingen die Malprozesse im urbanen Raum erheblich. Und diese können zu einer gewissen Ästhetik führen. L’Outsider erlebte viele extreme Situationen, die ihn schließlich dazu brachten Fehler zu akzeptieren, das Unerwartete schätzen zu lernen und somit das Wesentliche, die Essenz selbst seiner Malerei zu erfassen und festzuhalten. Denn schließlich kann das Unvorhersehbare und der Unfall während der Produktion auch zu einem künstlerischen Meisterwerk führen. Und obwohl Yann Leber an akuter Legasthenie litt, arbeitete er hartnäckig an den Buchstaben weiter. Dabei orientierte er und seine Crew FD sich anfangs am klassischen American Graffiti. Die Pioniere wie Futura2000 und Dondi White aus den USA waren seine ersten Vorbilder.



Seit circa 2010 liegt für l’Outsider das größere Interesse an der Arbeit mit den Buchstaben in ihren Verformungen, Zusammensetzungen und ihren typografischen Parametern.



Rahmenbedingungen schaffen

Über die Jahre entwickelte L’Outsider eine sehr individuelle Praxis, die zusätzlich von Architektur, Grafikdesign, zeitgenössischer Kunst und Handwerk geprägt wurde. Auch Einflüsse von anderen Kulturen fließen in seine Arbeit ein, wie z.B. durch eine Reise nach Südafrika. Beeindruckt von der Kultur, Bildsprache und Wandmalerei der Ethnie der “Ndebele“, inspirierten ihn die neuen Bildgestaltungsmuster, die er in seine Arbeiten in abstrakter Weise einfließen ließ. Während einer Reise durch Japan entdeckte er die japanische traditionelle Kalligraphie in Schwarz und Weiß, die ihn bis heute weiterhin prägt. Ihn fasziniert dabei die Reduktion der Farbe, das Zeremonielle, das Performative und das bildliche Erfassen der Essenz der Geste.

Das Schaffen von L’Outsider erweiterte sich schließlich vom Außenraum in den Innenraum. Durch die Arbeit im Atelier und der Produktion von Leinwänden öffneten sich neue Arbeitsweisen und weckte das Interesse von Galerien und Sammlern. So ergaben sich Ausstellungen in Marrakesch, Paris, Zürich, Weil am Rhein und in weiteren europäischen Städten.

Nichtsdestotrotz hält der junge Künstler stets an der Praxis im öffentlichen Raum fest, welche auf Spontaneität, Intuition und Ortsspezifität basieren. Und auch im Atelier sucht er nach diesen außergewöhnlichen Bedingungen des ungenehmigten Malens im öffentlichen Raum sowie auf Zügen – unter Stress, Zeitdruck, schlechten Lichtverhältnissen in der Nacht und in meist ungemütlichen Körperpositionen. Diese Rahmenbedingungen mit ihren Einschränkungen und Unannehmlichkeiten, die einen bestimmten psychischen Zustand erzeugen, versucht der Künstler in seinem Atelier „nachzustellen“, um somit dieselbe Energie in seinen Leinwandarbeiten einfließen zu lassen. Er malt am liebsten, wenn er nicht gut drauf ist, spontan, mit der Inspiration des Moments, ohne Skizze. In der Nacht, mit schlechtem Licht, platziert er die Leinwände so, dass das Malen erschwert wird. Yann Leber äußert sich folgendermaßen dazu : „Ich bin heute in einer Phase, in der sich meine Praxis verändert, die Produktion von Atelierarbeiten überwiegen heute die Produktion an Wänden. Diese Veränderung gibt Anlass zu neuen Überlegungen. Zur gleichen Zeit haben mich all diese Jahre der Graffiti-Praxis tief geprägt, aber ich bin davon überzeugt, dass der Versuch meine Arbeit an der Wand direkt auf die Leinwand zu übertragen, zwecklos wäre und von wenig Interesse. Doch der Weg endet nicht hier. Die Herausforderung für mich ist es zu schaffen die ganze Essenz und die Stärke meiner früheren Erfahrungen zu erfassen, um sie in meinen Atelierarbeiten „wieder einfließen und durchtränken zu lassen“. So verwende ich Zeit als maßgebendes Element, wie es die Wahl einer Acrylfarbe oder Sprühdose zu einem bestimmten Zeitpunkt der Realisierung einer Malerei sein kann. Ich arbeite in einer gewissen Dringlichkeit, ich spiele mit den Trocknungsphasen, nehme ungemütliche Positionen ein, mitten in der Nacht bei schwachem Licht.“


Typographische Abstraktion

L’Outsider nimmt den Buchstaben ihre klare Lesbarkeit und versucht dessen Dynamik und Kraft zu synthetisieren. Sein künstlerischer Ansatz konzentriert sich auf die Form der Buchstaben und verfolgt ihre bildlichen Qualitäten, die er als „Abstraction Typographique“ bezeichnet. Lesbare und unlesbare, sichtbare und unsichtbare Buchstaben, fungieren als die wichtigen Pole der künstlerischen Forschung des französischen Künstlers. Vor einigen Jahren arbeitete er noch mit vielen Farben und mit Mustern als „fill ins“, um dann immer graphischer und in schwarzweiß zu arbeiten und sich nach und nach von den lesbaren Buchstabenformen zu lösen. Flächenüberlappungen, diffusere Sprühtechnik, abstrakter und mehr Gestik fließen in seine Arbeiten seither ein.



Für seine aktuelle Serie hat er sich für die Farbwahl von der Straße inspirieren lassen. Weiß, Beige, Schwarz und Silber Chrome. Das neutrale Beige, der typischer Ton für Gebäuderestaurierungen in Frankreich, interessiert ihn besonders. Beige, hellgrau und Eierschalen-weiß sind die meist verwendeten gedeckten, „neutralen“ Farben im urbanen Raum, die in seinen Gemälden eine neue Bedeutung erfahren. Die im Graffiti beliebte Farbe Silber Chrome hat die Fähigkeit, alle Arten von Oberflächen zu decken, und sein silbriger, lichtreflektierender Farbton verleiht jedem Graffiti eine visuelle Wirksamkeit. Schwarz und Chrome sind somit eine beliebte Farbkombination.

Die weißen Hintergründe seiner Leinwände unterstützen das architektonische Gleichgewicht der Formen, um einen stabilen Rahmen zu schaffen, in dem die Formen ihre Dynamik entfalten können.

Seine aktuellen Serien wirken weniger flach, sondern zeigen mehr Struktur wie Rakel- und Pinselspuren. Überlappungen und Schichten verschiedener Farbe erhalten durch diverse Trocknungsphasen auf Leinwand andere Beschaffenheiten und erlauben ihm in seiner immer abstrakteren Malerei das zusätzliche Spiel mit Struktur, Textur und Materialität neben dem mit der Geste.

Yann Leber beschäftigt sich neben seinen bildlichen und malerischen Recherchen auch mit theoretischen Fragen der Kunstgeschichte. Er schreibt in seinem Text „Abstraction typographique“: „Porträt, Landschaft oder Stillleben haben den Malern unendliche Forschungs- und Erfindungsmöglichkeiten geboten. Dasselbe gilt für den Buchstaben im Graffiti Writing dessen Praxis neue Bildhorizonte eröffnet (…).“

„Was die Kunstgeschichte aus den Sonnenblumen Van Goghs gelernt hat, sind nicht die Sonnenblumen als solche, obwohl sie das einzige Thema des Gemäldes sind. Es ist der Stil und die Seele des Künstlers, die das Werk ausmachen. In gleicher Weise erlaubt mir heute mein jahrelanger Kontakt mit Graffiti, den Charakter, das Temperament sowie Einflüsse und die Relevanz der Urheber zu spüren (…).“

Graffiti Writing mit Buchstaben als Basis ist in den Augen von L’Outsider die neue Form der Malerei des 21. Jahrhunderts und somit eine neue „Familie“ in der Malerei, die er stets mit weiterentwickelt.



loutsider.com
instagram.com/yann_loutsider/

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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