Der Eigenweg von SOZI36
Wer in Berlin-Kreuzberg (36) auf den Straßen unterwegs ist und ein Auge für künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum hat oder auch nicht unbedingt, kennt sicherlich die Arbeiten von SOZI36. Seit 1995 ist er aktiv in Berlin, von 1995 bis 2004 war er vor allem mit unzähligen Tags im Stadtraum präsent. 2004 machte er aus verschiedenen Gründen eine 10-jährige Pause bis 2014. Seitdem malt er äußerst selten auf Wände oder Häuserfassaden, sondern konstant auf Materialien, die er auf der Straße findet. Ob auf Karton, Holz, aussortierten Möbelstücken und aber vor allem auf Matratzen, sein Markenzeichen, die in Kreuzberg und im nahe gelegenen Nord-Neukölln oft auf der Straße landen. Manchmal kontaktieren ihn sogar Sympathisanten, die ihm eine Matratze zur Verfügung wollen. Die alten Matratzen bieten eine große weiße Fläche auf der SOZI seine Sprüche, Figuren und Motive mit der Sprühdose malt, vor Ort liegen lässt oder an Straßenecken platziert.
Da SOZI gerne provoziert, z.B. mit dem Mittel der Publikumsbeschimpfung, ruft er oft Reaktionen hervor. Daher wird er während seiner Arbeit auch regelmäßig angesprochen, was ihm auch entgegenkommt. Denn schließlich möchte er Diskussionen anregen und kann sich diesen durch den direkten Kontakt mit den Betrachtern stellen. Manchmal reagieren Menschen mit Humor und Anerkennung, ermuntern ihn zur Weiterarbeit, Spenden Geld für neue Dosen und reparieren zerstörte Arbeiten. Manchmal mit Hass und Verachtung. So bewarf ihn auch mal eine Oma mit einem Apfel aus dem 2. Stock, ein Neonazi verpasste ihm einen Fausthieb oder Zivilpolizisten beschimpften ihn als Schwuchtel, die sich verpissen solle. Seine Gegner sind vor allem die BSR, manche Aktivbürger oder politische Gruppen. Doch ob Lob oder Tadel, der Kreuzberger macht weiter und genießt mittlerweile große Anerkennung bei seiner Basis von Sympathisanten, die ihn direkt von der Straße kennt.
SOZI36 geht seinen ganz eigenen Weg mit einem einfach gehaltenen Stil und simplen Hilfsmitteln, um sich auszudrücken und Menschen zu erreichen – nicht als klassischer Graffiti Writer, nicht als Street Artist und nicht als politische Organisation – er bleibt ein Sonderling in der Berliner Urban Art (Urban Art als ungenehmigte Kunst im öffentlichen Raum zu verstehen). Nicht nur ästhetisch oder inhaltlich ist seine „Aktivisten-Kunst“ einzigartig, sondern auch durch seinen räumlich beschränkten Handlungsraum, seinen Fokus auf seinen Kiez, Kreuzberg36. Er markiert hier sein Umfeld, seinen Lebensraum, sein Territorium mit spontanen Interventionen, denn woanders – auch in anderen Kiezen Berlins – fühlt er sich nicht zuhause, weil er dort die Population nicht kennt.
Oh, war ich heartbroken, oh, habe ich mich damit nackig gemacht. Ich war sehr unsicher, diese spontane Arbeit so dahin zustellen, aber mein Künstlerfreund ermunterte mich: „Wenn was raus will, lass es raus.“
Darf ich die Öffentlichkeit mit meinem Kummer belasten? Konterkariert das nicht Sozi36? Meine Antwort war: Ihr Kreuzberger erfreut euch oft genug an meiner Liebe, dem Witz und meiner Wut – dann müsst ihr das jetzt auch aushalten. Ich kann grad nichts anderes malen und unsere Beziehung soll keine Einbahnstraße sein. Ist das nicht peinlich? Und wie! Einen Tag später habe ich alle sieben Matratzen schwarz angemalt, was dann genauso peinlich war. Und dennoch bin ich froh, dass ich meinem Impuls gefolgt bin. Und würde es hoffentlich auch wieder tun.“
SOZI36
SOZI36 hat seine Lieblingsecken im Kiez. Seine spots. Wie z.B. in der Oranienstraße – Ecke Skalitzer Straße, vor der Brache und dem bekannten „Patchwork- Mural“ mit Arbeiten von ROA, 1UP, One Truth, Berlin Kidz und anderen Writern. Dort laufen viele Menschen vorbei und Touristen bewundern das Mural. Dort stößt man regelmäßig auf neue Arbeiten von ihm am Zaun befestigt. Es ist wie eine Open Air Wechselausstellung in einem unbestimmten zeitlichen Rahmen. Mal nichts, mal neues, immer überraschend. In der Reichenberger Straße oder an der Hobrechtbrücke sind ebenfalls regelmäßig Arbeiten installiert. An der Brücke befestigt er Plakate, Matratzen oder Pappschilder an einen Bauzaun. Da seine Arbeiten meist groß sind und so sichtbar platziert werden, kann man gar nicht vorbeilaufen, ohne sie nicht zu bemerken, zu betrachten/zu lesen, sie wahrzunehmen, man läuft also meist nicht unberührt weiter.
Diese Matratze hing vor einer Baubrache an der sehr belebten Oranienstraße. Gerüchte sagten, dass da ein Hotel hin sollte. Eine Supporterin tweetete der Bürgermeisterin Herrmann das Foto dieser Matratze, mit dem Kommentar, dass man Sozi lieber nicht zum Feind will. Sie antwortete, dass sie nichts von einem Hotel wisse und leitete die Frage an ihren Baustadtrat. Dieser erzürnte sich im Internet „über die anonyme Hetze“ und sein Mitarbeiter schickte mir eine Email mit detaillierten Informationen, warum an dieser Stelle kein Hotel hingebaut werden wird.“
SOZI36
SOZI36 arbeitet meist spontan und schubweise. Sein Bedürfnis sich mitzuteilen und die Straße zu bespielen basiert neben dem für Writer klassischen Geltungsdrang auf der Meinungs- und Kunstfreiheit und treibt ihn immer wieder raus. Weggeschmissene Gegenstände, die auf den Bürgersteigen landen und eh irgendwann entsorgt werden, stehen hier für den Künstler als Leinwand oder Plakat zur Verfügung und werden temporär für andere Zwecke quasi recycelt.
Seine Arbeiten sollen möglichst viele Menschen ansprechen und sind somit reduziert auf die Kommunikation pur, in Form von Schrift und Bild. Seine Sprüche sind gut lesbar, ob auf Deutsch oder auf Englisch, mal kurz, mal lang, immer zu Themen, die ihn gerade beschäftigen – ob in seinem Privatleben, durch gesellschaftliche Umstände in Berlin, oder auch globale sozial-politische Themen. Manchmal sind Figuren oder andere figürlichen Motive zu der Schrift gemalt, mal mit Schablone oder frei Hand, stilistisch erfindet sich SOZI36 immer mal wieder neu und probiert sich aus, meist spontan und ohne großen Vorbereitungen.
Die inhaltliche Konstante in seinem Spruchgraffiti ist der Wille Widersprüche aufzuzeigen, Fragen zu stellen und Diskussionsvorschläge zu machen, um bestehende Systeme zu hinterfragen, ob es der Kapitalismus, Gesellschaftsformen oder gesellschaftliche Phänomene sind, ob lokale oder globale Probleme. Und das meist mit Witz, Ironie und Sarkasmus. SOZI36 beschäftigt sich generell mit der Menschheit, ihren Lebensformen und möchte durch seine Interventionen anregen und an einem Umdenken mitwirken. Seine Arbeiten sind daher auch politisch.
Die Presse hat sich immer mal wieder für ihn interessiert und interviewt. Die TAZ hat für eine Werbung eine Arbeit von ihm auf der Straße abgelichtet, ohne zu fragen, wogegen er auch protestierte. Touristen fotografieren ebenfalls seine Arbeiten und stellen sie ins Netz. Einen Instagram account pflegt SOZI36 auch.
Während meiner Straßenarbeit führe ich viele Diskussionen und mit Widerspruch kann ich relativ gut umgehen. Ich will ja gar nicht, dass mir alle zustimmen, denn dann würde ich etwas falsch machen. Aber diese Wohlfühlhipster fronten mich mit: „Hey, ich will deine negativen Sachen (gemeint sind die politischen Arbeiten) nicht lesen. Verändere die Welt doch zum Positiven anstatt nur zu meckern: Schreib doch etwas mit Liebe.“ Das höre ich wirklich sehr oft und würde am Liebsten jedes einzelne Mal zuschlagen: Face reality.“
SOZI36
SOZI36 arbeitet gerne alleine (außer ein paar Kollaborationen mit anderen Künstlern) und ohne Infrastruktur. Er wird weder von der Kunstszene, dem Berliner Kulturbetrieb noch von politischen Gruppen unterstützt. Er ist als Urban Art Künstler nicht einzuordnen, wird von den Berliner Graffiti Writern und Street Artist zwar respektiert, aber gehört keiner Szene an und man hält sich gegenseitig in wohlmeinender Distanz. Der Kunstmarkt zeigte auch nie Interesse, obwohl eine Arbeit von ihm mal bei einer Kunstauktion auftauchte und seine kleineren Arbeiten von der Straße geklaut werden. Für viele Menschen aus der Kunstszene bleibt er jedoch unbeachtet und wird nicht als Künstler wahrgenommen. Vielleicht weil er zu politisch, zu simpel, zu „trashig“, zu plakativ für den Kunstmarkt arbeitet? Der künstlerische Wert liegt aber auch nicht immer im „Endprodukt“, sondern in der Aktion an sich, als Aktionskunst, und im Eigenweg, den SOZI36 als Kunstfigur in Berlin geschaffen hat, denn er ist ein Kunstkonzept an sich.
Durchaus sind seine Arbeiten, die seit Jahren an den gleichen und auch neuen Stellen in Kreuzberg immer wieder aufpoppen – in den Stadtraum platzierten Botschaften durch Plakatkunst/Objektkunst/Aktionskunst – Teil der aktiven Berliner Urban Art und sind von der Straße kaum wegzudenken. Und die Anerkennung und Liebe, wie er sagt, erhält er von der Basis, der Straße selbst.
SOZI36 – Pic ©SOZI36 SOZI36 – Pic ©SOZI36 SOZI36 – Pic ©Katia H. SOZI36 – Thanks to @aris_one
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